31.12.2013

Der Architekt des Dönerparks

Erfuhr, dass der Architekt des Dönerparks im niederösterreichischen Neunkirchen kein Türke, sondern ein Österreicher ist, der ein Gutteil seiner Zeit im warmen Südafrika verbringt, was der passable Wohlstand ihm ermöglicht, den er sich mit seinen pragmatischen Bauten erworben hat. Privat beneidenswert, öffentlich ein Ärgernis: die Gebietseliten Österreichs zeichnen für allerlei städtebauliches Mittelmaß verantwortlich, müssen sich aber nicht verantworten, da das Publikum ästhetisch gleichgültig ist und sie selber einander bloß in ihren privaten Domizilen Geschmack zu zeigen haben.

30.12.2013

Zeitgeber

Im Englischen das Lehnwort zeitgeber zu verwenden ist unnötig, da es ganz einfach als timegiver übersetz- und im Sprechen anwendbar wäre. Dass dennoch zeitgeber sich durchgesetzt hat, könnte diese Gründe haben: die wissenschaftliche Gemeinschaft wollte dem deutschen Chronobiologen, der das Wort geschöpft hat, Tribut zollen; timegiver klang englischsprachigen Forschern suspekt; die weltweite Forschungsgemeinschaft spricht gerne vom selben, wenn es Phänomene bespricht, und in diesem Fall konnte dies nur durch Besprechung eines und desselben Wortes gewährleistet sein: zeitgeber.
In der allgemeinen Menschenkultur wäre das Wort Zeitgeber auch verwendbar. Die Deutsche, die neulich in der New York Times das Wort »Zeitgenosse« in die englische Wortschatztruhe hineingeben wollte, könnte sich darüber Gedanken machen. In der Chronobiologie ist ein »zeitgeber« ein Signal aus der Umwelt, das die biologische Uhr des menschlichen Bewusstseins auf seine Umwelt abstimmt; Licht, Geräusche, Düfte (Morgenkaffee z.B.)

23.12.2013

In der früh

Im bahnhof ternitz alte leute die die geschenkten zeitungen lesen (österreich, heute), zeitung lesende leute ungewohnter anblick, von wo ich gerade herkomme das bild der pensionierten und der portiere mit zeitungen im kopf, naja kommt hin.

01.12.2013

Wunsch zum ersten Adventsonntag

Das andauernde Interesse an deutschen Komposita. Dass eine Deutsche in der New York Times keck dem englischen Sprachwortschatz vorschlägt, doch bitte das bedeutsame Wort »Zeitgenosse« aufzunehmen und »contemporary« zu vergessen.
Veröffentlichung der Sammlung neuerfundener Komposita Ben Schotts (inkl. »Frohsinnsfaschismus«). Der Wunsch des Rezensenten in der Presse nach einer »Normalsprachgebrauchsübernahme« einiger Wörter Schotts.

Untersucht auch jemand die schleichende Verkompositierung im (muttersprachlichen) Englischen? Die US-Amerikaner z.B. haben längst das Wörtchen »of« fallengelassen und sprechen und schreiben ohne jeden deutschen Kompositumsneuerfindungsstolz Komposita. Sie denken, sprechen und hören Komposita in, behaupte ich, der gleichen Art wie muttersprachlich deutsch Sprechende; nur schreiben sie sie als getrennte Wörter auf. Der Unterschied, der aus deutschen Komposita langsam einen Fetisch werden lässt.
James Dimon, der Chef der Bank JP Morgan Chase, kann in einer Nachricht an eine Kollegin locker mit einem Kompositum einen Sachverhalt beschreiben und gleichzeitig auf ihn verweisen, während ein deutscher Großbankchef (sofern ein solcher überhaupt noch auf Deutsch korrespondiert) wohl kaum – vor lauter Scheu? Hochachtung? vor Komposita – ein Kompositum einsetzen würde. (Stimmt das?)
Dimons E-Mail:
“Ok. send me some info. Also how does it relat (sic) or not to our wind down credit exotics book?”

In meiner Kindheit haben die Leute um mich herum immer Adventsonntag und Adventkalender gesagt, nie das s eingeschoben. In den letzten Jahren habe ich viele Leute getroffen, die Adventskalender sagen. Mich überkam jedesmal ein Schauder der Fremdheit.

Heute ist der 1. Adventsonntag. Ich habe Kollegen vom Flughafen in Shanghai abgeholt. Die nächsten Tage werden wie die vorangegangenen sein: beschäftigungsvoll. Ich wünsche mir mehr Beschäftigungslosigkeitsstunden.

24.11.2013

Beruf: Dichter

In einem Macauer Casino arbeitet ein Dichter für die v.i. Gäste.

04.11.2013

Döner-Touchscreen-Panorama

Die niederösterreichische Kleinstadt Neunkirchen ist von den Erhebungen der Voralpen umgeben. Ein kleines Einkaufszentrum nahe der historischen Innenstadt wird, zur Huldigung dieser Berge, »Panoramapark« genannt: es ist als U gebaut, aus dem der Blick in ihre Richtung geht.
Der Blick endet aber an Häusern umliegender Siedlungen. Das Bergpanorama ist in echt nicht zu sehen. Statt ihm wurde auf Traufehöhe des U-förmigen Gebäudekomplexes ein (Panorama!)-Foto angebracht. Hier eine Ansicht aus der Nevilliergasse.












Dieser typische Kleinklotz von Einkaufszentrum fällt in den alten Gassen Neunkirchens auf, die über die Jahrhunderte so geworden sind, wie sie nun stehen, und eine passable Innenstadt ausmachen. Logos und Schriftzüge finden sich da in den Mauerputz eingesenkt oder als Eisengestell; Überbleibsel aus einer Zeit, da Logos dreidimensional hergestellt wurden, und nicht nur von einem Grafikdesigner in zwei Dimensionen ausgelegt.
Das handwerkliche Manko wird durch Aufblasen der Buchstaben und der Leuchtdichte wettgemacht. Bis in die Hinterhöfe leuchtet nun: Lichtverschmutzung.











Von Norden angenähert, erblickt man die Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt. Das Panoramafoto wird sich wohl nie in diese Gegend einschließen und stimmig dazugehören, wie die gotischen und barocken Umbauten der ursprünglich romanischen Kirche; oder wie z.B. der abstrakte Soravia-Flügel, der vor dem Museum Albertina prangt; sondern eher unpassend bleiben.
Es gibt eine banale Einsicht aus der Gastronomie hier neu zu entdecken: photographische Darstellungen und Materialien halten in Außenarchitektur schlecht und patinieren erbärmlich, würdelos. Die »Panoramapark«-Designer müssen Türken sein, die mit der Speisekartengestaltung von Döner-Kebapläden groß geworden sind.











Jemand hätte ihnen sagen sollen: »Ich glaube, das Markenpanorama klebt da wie ein riesiger Taps-Schirm, die Anzeige auf einem Tabletcomputer, das Foto wirkt wie ein präinstallierter Bildschirmhintergrund. Oder ein Riese aus einer anderen Welt hat einen riesigen Flyer zerrissen und diesen Schnipsel weggeworfen; der Schnipsel setzte in Neunkirchen auf.
Bei der Gestaltung dieser Bande seid ihr dem Trugschluss aufgesessen, dass ein beruhigendes Naturfoto als Hintergrund für ein ansprechendes Logo sorgt und Marken für ansprechendes Design. Grafik ist nicht Architektur.«

31.10.2013

Binman's Dance Floor

Die einzige erträgliche Musik in China kommt aus den Radio- & Tonbandgeräten der Straßenmüllarbeiter.
In Österreich nennt man diese »Mistkübelausleerer«, da sie nach Jahrzehnten szientistischen Produktionssteigerungen wirklich nichts anderes machen müssen als den Müll, der in großen Abfallbehältnissen von relativ zivilisierten und mehrheitlich ordnungsgemäß vorgehenden Bürgern angesammelt und bereitgestellt worden ist, in einen Tank auf dem großen Mülllastwagen zu schütten.
In China fahren Müllfrau und Müllmann ihr eigenes Dreirad mit Müll-Ladefläche, und sie sind keine Abholer von vorsortiertem Abfall. Sie sind Müllaufleser. Sie gehen nicht selten mitten auf die Straße, um dort ein Taschentuch mit der Müllzange aufzupicken. Sie holen den Müll von dort ab, wo er anfällt. Daher ist es für die Chinesen so belanglos, wenn jemand ein Taschentuch oder eine Plastikflasche irgendwo hinwirft, »wie wenn in Eulopa ein Lad umfällt.«
Wann immer ich in China vorhabe, Abfall in einen dafür vorgesehenen Behälter zu entsorgen und mein Vorhaben artikuliere, werde ich mit einem Lächeln ermuntert, ihn einfach fallenzulassen, denn »da kommt schon wer das wegräumen.«
An den unvermutetsten Stellen kommen sie, auch auf Autobahnen, wo ihre Straßenquerungen in etwas schnellerem Gang erfolgen. Vorgestern sind mir zwei auf der G15 nach Shanghai begegnet.

Die Müllarbeiter sind in ihrer derzeitigen Form schwer von den Straßen wegzudenken und wären schwer durch ein effizientes System von Lastwagen und Abholern zu ersetzen. Solches hätte zur Voraussetzung ein funktionierendes Gesellschaftssubsystem: die Zivil-Müll-Gesellschaft der Gesellschaft der Gesellschaft, die einen Ekel vor herumliegendem Müll entwickelt hat sowie Wut der moralisch Beleidigten gegenüber Müllverursachern.
So ein System wäre in China nur in Verbindung mit hohen Geldstrafen à la Singapur umzusetzen. Und es würde zunächst sinnlos erscheinen, da das Ekel/Wut-Problem vom bestehenden, hochdynamischen System der mobilen Müllarbeiter mit ihren Dreirädern mit Ladefläche gelöst wird. Statt Wut über unhygienische, die Gemeinschaft beschmutzende Mitbürger oder über eine schlecht organisierte Müllentsorgungsverwaltung empfinden zu können, wird auf wenig sauberen Straßen Chinas höchstens die Nase gerümpft wie über eine schlampige Hausfrau, die schon länger nicht geputzt hat.
Genau dieser Fall ist aber selten anzutreffen, zumindest in jenen aufstrebenden Großstädten der 1. bis 4. Größenordnung, deren Straßenbild als gepflegt im westlichen Sinn bezeichnet werden kann – denn dort scheint das System perfektioniert worden sein. China profitiert von seiner großen Bevölkerung: es sind jetzt genügend Arbeiter vorhanden, denen ein möglichst kleines Gebiet zugeteilt werden kann.

Das vorstehend notierte stimmt vielleicht nicht. Außerdem interessiert mich einzig:

Ihre Rolle als Erhalter öffentlicher Sauberkeit führen die Müllarbeiter in blauen, zweiteiligen Uniformen und Kegel-Strohhut aus. So schnell der Müll immer zu verschwinden scheint, so langsam, gelassen und ungehetzt gehen sie herum oder treten in die Pedale ihrer Dreiräder. Stoisch nehmen sie die hupenden Autos wahr, die keine Sekunde verschenken möchten, um sie die Straße queren zu lassen. In China heute ist der Autofahrer, der eine Plastikverpackung auf die Straße wirft, meistens derselbe, der hundert Meter weiter penetrant einen Müllarbeiter anhupt, weil der ein Stück Müll von der Fahrbahnmitte entfernt und dabei etwas zu gemächlich sich bewegt.
Die Erscheinung der Müllarbeiter auf der Straße ist ein Alltagsbalsam für mich. Die genannten Huper hasse ich. In den Müllarbeitern sehe ich Vorbilder. Sie ertragen die Exzentrizität der Kleinbürger, deren Ungeduld, die Unhöflichkeit, ohne, wie ich, zu erzürnen und unkontrolliert Gegenwehren der Hände und des Mundes hochkommen zu lassen.
Ihre Uniformen ein ästhetischer Segen: Ordnung in der wüsten Kleidungsidiosynkrasie, ihre schlichten Zweiteiler machen sie offiziöser als die dunklen Hosen und flapsig ausgestrickten weißen Hemden und Blusen der Bankangestellten.
Als Soundtrack haben die Müllarbeiter sich eine wunderbare Musik gewählt: die von wenigen, altertümlichen Instrumenten begleiteten Sprechgesänge aus alten »Opern«. Es gibt die Pekingoper, die Kunqu Oper etc. ... für das westliche Ohr klingt alles »chinesisch« – und eher ungenießbar.
Die Müllarbeiter hören ausnahmslos eine rhythmisch flotte Variante dieser Musik, die ich phänomenal gerne mit »Devils Dance Floor« von Flogging Molly vergleichen möchte und theoretisch mit dem, was bei uns RocknRoll heißt: coole Musik, ohne Naivität, die Rolling Stones: die einzige britische Band, die Lou Reed mochte. Das sind vorschnelle Vergleiche.

Gestern beim Besuch in einer Handelsfirma in Cixi, Provinz Zhejiang, in der gerade Paletten aus Spanplatten zusammengenagelt wurden, lief eine Aufnahme jener charakteristischen Musik. Die Hilfsarbeiter der Exportwirtschaft hören diese Musik ebenso.




Tonaufnahme: Wilhelm, 1774 (2013)
Fotos: Wilhelm, 1774 (2013)
Bild 1: Straßenmauer in Shengzhou, Shaoxing
Bild 2: Mistkübel in Beilun, Ningbo
Bild 3: Hausmauer mit Werbung für Kalligraphie (书法 shu fa), Xinchang, Shaoxing

27.10.2013

Si radicalisses

Heut’ hat’s Presschen wieder einen wunderbaren Apostroph g’setzt. Ein Ausspruch der Sängerin Angelika Kirchschlager wurde aufgeschrieben als: »Ich radikalisier’ mich immer mehr.« Das liest sich herrlich Wienerisch-Nestroyanisch.
Ihr Buch könnte »I’ erfind’ mi’ jed’n Tøg neu« heißen  jawohl, mit einem Chutzpe-Apostroph auf dem »neu«! Und mit dem auf korrekte visuelle Repräsentation eines Dialektlautes abzielenden ø. Und mit dem brav harten t, eine Schreibweise wie in gedrucktem (und meistens auch so gesungenen) völkischem Liedgut. Das wäre so spitzbübisch, klass’ und leiwand wie ein gelungener Jodler. Ich meine es ernst.
Ich interessier mich jeden Tag aufs Neue für Schreibweisen. Neulich habe ich einen Buchstaben erfunden, der den Dialektlaut »eiü« darstellt, das

22.10.2013

Vorschlag für Sitzbänke Mariahilferstraße

Diese Bänke könnten sie auf der Mariahilferstraße aufstellen.








Sie stehen im neuen Institutsgebäude der Informatik und Publizistik in der Währinger Straße 29, Wien. Zwei verbundene Trapeze, deren Schenkel so einigermaßen den Körper in eine erträgliche, dem Lernen, Lesen, Arbeitenschreiben zuträgliche Lage des Körpers versetzen. Die Füße können etwas nach hinten gezogen werden und stoßen nicht an eine senkrechte Wand an, was bei allzu schlichten Designs die Gefahr ist. Der Rücken wird von der sanft geneigten Lehne unterstützt.
Unter den ganzheitlichen Bänken stehen auch welche ohne Rückenlehnen. Hier können Leute Platz nehmen, die die Kunst des Schneidersitzes beherrschen. Gelungene Mischung.
Wie bei allen meinen Rückenlehnenkommentaren gilt hier, dass ich keine richtige Art zu sitzen, z.B. eine Rückenanlehnpflicht, propagiere, sondern lediglich das Vorhandensein von Rückenlehnen einmahne. Wo Bänke neu aufgestellt werden, sollen sie, also zumindest zum Teil, eine Rückenlehne haben. In bildlichen Entwürfen der Neugestaltung (2014) der Wiener Mariahilferstraße unter der Aufsicht der Stadträtin Maria Vassilakou gibt es keine.

12.10.2013

Die Verbergung der Pflastersteine

Verbildlichungen der zukünftigen Mariahilferstraße wurden veröffentlicht. Den Kommentierern des Presschens zischt die gehörige Portion Zornschaum aus dem Mund. Manche empören sich, schwer zu sagen ob im Ernst oder als Spitze gegen die Grünen gemeint, über die ins Bild gesetzten bzw. schändlicherweise nicht gesetzten Leute.
Die Politik bietet dem Volk eine Vision der Zukunft, um den Anschein zu erhalten, diese sei von den Bürgern mitgestaltbar. Einmal vorgestellt, wird die Vision als Scheibe benutzt, auf die alles geworfen werden kann (und zwar Dartpfeil-, nicht Diaprojektor-mäßig), was man den Politikern immer schon sagen wollte.
Die zu bestreitende Frage, ob die Mariahilferstraße gepflastert werden soll, bleibt unbestritten. Da das spitzfindige Volk zeigen muss, dass schlecht gephotoshoppt wurde (die simulierten Fußgängerinnen »schweben«), und wie toll es die Bedeutung des Fehlens von Menschenschatten auslegen kann.

Wichtiger als Trampoline, Soziologie und Utopienästhetik:

Pflastersteine legen oder nicht?
Die wagemutigen Skateboarder von New York, wie sie neulich in der dortigen Zeitung beschrieben standen, kämen auf ihnen gut zurecht, es handelt sich um flache, glatte Kunststeine.
Sie dürften tatsächlich bremsend auf Autofahrer wirken. In der Mariahilferstraße wäre das unnötig, da es hier schon bisher nur langsam voranging. Pflastersteine würden bloß zur Kennzeichnung der Mariahilferstraße als jene lässige Zone beitragen. Erst mit den Pflastersteinen würde Stadträtin Vassilakou einen auch für die Belämmerten unübersehbaren Stadtbau-Akzent setzen.
Ich persönlich will keine, weil sie mir vorkommen wie ein Provinzhauptplatz und wie ein Spießergarten und weil ich die unermüdlichen Betonplatten Hongkongs schätze.

Sollen neue Sitzbänke mit Rückenlehnen ausgestattet sein?
Rückenlehnen fehlen in der Vision fast gänzlich. Die, die es gibt, sind kantig und dienen zugleich als zweite, höhere Sitzebene. Müsste testsitzen können.
Die meisten projektierten Sitzbänke jedenfalls haben keine Rückenlehnen. Sie wären auszuhalten, hätten vielleicht sogar ergonomisch-volkswirtschaftliche gute Auswirkungen, es gibt vielleicht Leute, die keine Rückenlehnen benötigen. Ich vermute weiterhin eine Designkrise und bevorzuge angenehme Sitzbänke.

Soll die alte Mariahilferstraße wiederhergestellt werden?
In dieser Petition wird diese Forderung erhoben. Ich hatte überlegt, zu unterschreiben, finde sie aber reaktionär, besserwisserisch und gesättigt-bourgeois-dekadent.

Städter (pej.)

Es gibt einen Städter in dem Sinn, wie es ein Landei gibt. Er kennt Verhaltensweisen nur aus seiner Stadt. Seine Stadt ist nicht die kultigste der Welt oder er ist in ihr nicht gerade dem Füllhorn der möglichen Wahrnehmungen ausgesetzt. Für dieses alte Phänomen habe ich gerade nur zwei Beispiele parat:
Wer beim langen Bergabfahren dauernd auf der Bremse steht, ist entweder Wiener oder Holländer. (Diesen Vorwurf an städtische Autofahrer als bergtrottelig abzuweisen wäre kaum mehrheitsfähig. Autofahren und Motorbremse sollte der Städter beherrschen, zumindest wenn er autofahren möchte.)
In einer chinesischen Küstenstadt lernte ich den Städter kennen, der nachts grundsätzlich mit Fernlicht fährt, da er scheinbar nie in die Dunkelheit kommt, um dessen ursprüngliche Funktion erproben zu können. Er muss es einschalten, wozu hat er sein Auto? Dass er andere blendet, fällt ihm nicht ein, da er selber von den vielen andern Blendern geblendet wird und es für normal hält. Oder weil er verdunkelte Fensterscheiben hat, die in diesem heißen Landstrich weitverbreitet sind.
In dem Fall wäre ich der wenig urbane (lies das englische Wort urbane) Autofahrer: das dritte Beispiel, so wie Brad Pitt in Se7en die siebente Todsünde: zu kleinkariert, die Fensterscheiben zu verdunkeln und das übergrelle Stadtlicht und Nachtcruisen zu genießen wie Nachtschifahren.

30.09.2013

Die ÖVP Wahlsieger?

ÖVP Wien Obmann Juraczka glaubt: Ohne Neos wären wir bundesweit Nummer eins.
Er zählt die Neos-Stimmen zur ÖVP und schiebt sich mit diesen imaginären 28,6% vor die SPÖ mit ihren 27,1%.
So ein Wunschdenken ist mir als diesmaligem ÖVP-Wähler auch durch den Kopf gehuscht nach Wahrnehmung der ersten Hochrechnung. Aber ich verbat es mir. Die Wähler haben sich für NEOS, Stronach und BZÖ (und FPÖ) entschieden statt für die ÖVP.
Der Optimismuszwängler Strolz und der halbsenile Industriepatriarch und der Hotelier Bucher waren ihnen lieber als die etablierte Partei, deren Gott nicht die Raiffeisenbank ist, wie Christoph & Lollo singen, sondern Fritz Neugebauer, ein furchtbarer katholischer Buddha (man stelle sich einen riesigen sitzenden Buddha vor, dessen Mundwinkel jedoch der Schwerkraft folgen, vielleicht sogar das schwerkraftauslösende Element unseres Universums sind).

Einzig in Tirol gewann die ÖVP Stimmenanteile, der Heimat des Wissenschaftsministers Töchterle.

22.09.2013

Johnson, Bloomberg (& DeBlasio). Häupl.

Wann hat Michael Häupl zum letzten Mal ein Fahrrad bestiegen? Der Wiener Bürgermeister steht im Gegensatz seiner dynamischen Kollegen aus London und New York da, unbeweglich. Boris Johnson fährt Rad, Michael Bloomberg fliegt seinen Hubschrauber. Michael Häupl sitzt auf dem sich biegenden Brett einer Heurigenbank und trinkt Spritzer. Seine »Blaadheit« und sein üppiger Weingenuss sind Mythologie. Die Volksmehrheit scheint ihn irgendwie zu mögen.
Ich glaube, Michael Häupl wird jeden Tag auf einer Kutsche ins Rathaus chauffiert.
Werden die SPÖ und Grünen-Politiker am Montag bei der Sondergemeinderatssitzung dem angeblich von Häupl stammenden Diktum folgen und eine Verlängerung der Fußgängerzone Mariahilferstraße beschließen, und eine Verbannung der Radfahrer aus ihr?

(Ist Häupl das immobile pars pro toto, der Körper Wiens wie Kohl der Körper Deutschlands war, und wächst die Fußgängerzone wie die Wüste, und wie Häupls Bauchumfang*?)

Wahrscheinlich. Das behäbige Wien obsiegt. Die gesamte Fläche auf der bis zur Stiftgasse wachsen sollenden Fußgängerzone wird dem Schlendern gewidmet. Keiner kommt auf die Idee, oder kann sie durchsetzen, 5% aus der Fußgängerzone zu meißeln und den Radfahrern zu geben. 100% Fußgänger: Orthodoxie. Die sorgenfreie Welt für den sorgenfreien Schlenderer.

(Es gab Politiker, die im Vorfeld der fußgängerzone-warming-party vom Flanieren sprachen, das nun durch die Fußgängerzone quasi möglich werde.
Ich lasse das verbrauchte Wort »Flanierer« und »flanieren« beiseite, denn die mir bekannten poetischen Erfinder des Flanierens, Charles Baudelaire und Robert Walser, hatten keine Fußgängerzonen zum Flanieren notwendig und haben auch nie so unbeholfene und reaktionäre Gedichte mit negativer Radfahrsymbolik geschrieben wie {der Wiener} Ferdinand von Saar. Schlendern angemessenes Wort.)

*Herrn Clemens Hüffel zufolge wachse Elmar Oberhausers Bauchumfang stündlich. Ob als mikroskopische oder als vorsokratische Beobachtung ist das eine große Erkenntnis. Ich münze sie hier auf gewisse Teile von Häupls Körper um.

19.09.2013

Duschen wie ne Barista

Schadenfreude: Howard Schultz ist ein Tschusch
In China verzichten die Baristas meistens darauf, den Namen eines Gastes aus dem Ausland zu erfragen, weil ihr Vokabular geläufiger Vornamen gering ist und sie die Warteschlange nicht durch Buchstabierungs-Pingpong peinlich verlängern wollen. Unterschwellig drängen sie die Kundin, einen Pappbecher zu verwenden, auf den sie dann 外》schreiben, »wài« im fallenden Ton, »außen, außerhalb«, kurz für《老外》, »Ausländer«. Jedes Mal stelle ich mir vor, wie Howard Schultz einen Starbucks in einer chinesischen Kleinstadt besucht, unerkannt bleibt, und ihm ein solcher »Ausl.«-Becher serviert wird. Die Menschheitsträume des Reformhausgründers zerschellen am Alltagsrassismus der Chinesen.

Aber irgendwie zieht die Starbucks-Masche. Fängt der Körper in der Dusche an, an sich herumzufuchteln und zu rubbeln, zackig sich zu bücken und zu drehen, und das Hirn denkt dazu: »Ich möchte so gut duschen können wie die Barista vom Starbucks gestern Getränke machte.«

Halbgares zu Starbucks Coffee
Jedes Mal, wenn ich einen Starbucks betrete, ein Fragezeichen von meinem Über-Ich – warum gehst du schon wieder da rein und stellst dich an der Schlange an und hilfst den Angestellten, »ihren Service immer mehr zu verbessern« und von ihnen eine freundliche Behandlung inkl. namentliche Begrüßung zu erfahren; warum gibst du dein Geld dem Pietisten Howard Schultz – Selbst- und Weltverbesserungsgesülze unterstützend;
wie jenes aus der aktuellen Kundenuntersuchung seines Unternehmens: »My experience was uplifting«, wo man in unterschiedlichen Stärken »zustimmen« oder »ablehnen« kann, ich kann nur in der Mitte ankreuzen, weder/noch. Ist mit »uplifting experience« der weiße Wal Schultz’ gemeint, oder? Den lasse ich ziehen. Ich gehe zum Starbucks, der früher bekanntlich Starbucks Coffee hieß, zum Kaffeetrinken. Von der Wirkung des genossenen Kaffees erhoffe ich mir ein bisschen Aufrüttelung. Ein sonderbares Erlebnis.

17.09.2013

Occupy le banc

Freute mich, als ich Isabel Miramontes‘ Kunstwerk, »Le Rendez-vous«, Spanien, Bronze, 2013, vor dem Hongkonger Kaufhaus Lane Crawford entdeckte. Ein gefundenes Fressen für meinen Weltschmerz über das Verschwinden der Rückenlehne im öffentlichen Raum – und ihr Auftauchen im Raum der Kunst. Wenn ich derzeit einer Bewegung beitreten wollte, dann jener, die das Sitzverbot für diese Kunstwerk-Bank bricht. Dieses Verbot wird von Bewachern (siehe Foto, ich fragte den Herren, ob man sitzen darf), und spätabends von Stahlgestellen (das sah ich später), und grundsätzlich vom Menschen mit dem krummgesessenen Rückgrat gewährleistet. Besetzt diese Bank. 

27.08.2013

Praxis vs. Vassilakou

Die Praxis wehrt sich. Neues von der Mariahilferstraße.
Die Busfahrer wehren sich frechlich, indem sie eine Riesenschleife ohne Anhalten um die Mariahilferstraße machen. Sie wollen aufzeigen, wie umständlich die Politik der Stadträtin ist, und werden ihr – schönes, schlichtes – Ziel erreichen: eine Überquerung der Mariahilferstraße, kein Befahren mehr durch aus dem Süden kommende 13A-Busse.
Die Berufsradler wehren sich gelassen: konzentriert auf ihre Arbeit, wie ich dieser Anekdote des (einfach gestrickten) Herzogs/Greenbergs »theophrastus« entnehme:

»Gestern in der Fuzo...
.....gehe zum ersten Mal auf der Strasse, als mich fast ein Radbote niederfährt-der Kerl hatte gut 50 Sachen drauf und sagte weder muh noch mäh ehe er hurtigst entschwand. Daraufhin wurde ich aufmerksamer und es dauerte keine 7 Minuten, bis der nächste Raser daherrauschte-mit Helm, Sturmbrillen und einem Outfit, dass man Angst bekommt. Ich-nicht schüchtern-rufe ihm zu, dass da Schrittgeschwindigkeit gelte; er zeigt mit den Finger,dreht den Kopf zu mir und brüllt

„ . . . . . .  a b e r  n e t  f ü r  m i -  I  b i n  i m  D i e n s t ! 

- und weg war er. Tja, ich denke, dass man sich wohl sehr bald die Bosse der Fahrradbotendienste vorknöpfen wird müssen- die müssen ihren Leuten klarmachen, dass Raserei in der Mahü kein Kavaliersdelikt ist und sehr bald empfindlich Geld kosten wird.«


Ich verleihe dem Fahrradboten den Titel Kurier des Jahres 2013Man soll ihm lebenslang seine Radverkehrsstrafen bezahlen. Man soll übrigens eine Fahrradstrafen-Versicherung gründen.
Dem Fußgänger und Tastaturhelden theophrastus wünsche ich, dass er seine brillante Aufmerksamkeit verlieren und ein bisschen schüchterner werden möge. Dann muss er sich über diese Schlimmheit da in der Welt keinen Kopf mehr zerbrechen!

Romananfang: Trottelmotto

In der traditionellen modernen Tiradenmanier verfasst, die ich im Alter von 14 Jahren erlernte, formell nichts Neues; und inhaltlich nichts Neues. Eine entspannende Schreibübung zum Abendausklang.

Es war eine vertrottelte Stadt. Der Pöbel Trottel, die Klein- und die Großbürger Trottel, die Regierenden Trottel, alle Einwohner seit Generationen Trottel, die Zuwanderer, wenn sie nicht, wie meistens der Fall, schon Trottel waren beim Zuwandern, sehr bald nach dem Zuwandern Trottel, integrierte Trottel, assimilierte Trottel, nicht integrierte Trottel. Alle zwei Jahrzehnte fragten die Regierungstrottel in ihren Trottelbesprechungen, was ihre Trottelstadt »ausmache«, und weil ihren Trottelhirnen, mit dem erwiesenerweise schlabbrigsten Liquor darin, dem beispielhaften Trottelliquor, nichts Gescheites einfiel, nichts Gescheites einfallen konnte, weil es ja Trottelhirne waren, volle Trottelhirne, erwachsene durchprogrammierte unveränderbare Trottelhirne, fragten sie die PR-Trottel ihrer Stadt, was man die Journalisten und die Stadtbeamten in ihre Programme und Applikationen reinschreiben lassen könne, was nach dem Reinschreiben mit dem Titel »Stadtimage« rubriziert und als Stadtimage publiziert werden konnte, was in der von den amerikanischen Trotteln programmierten Applikation namens »Trottelgerede« getwittert werden, und was auch gedruckt, und ausgeteilt werden konnte, und von den Trotteln angeschaut werden und weggeworfen werden konnte, damit die ärmsten Trottel eine Arbeit hatten, nämlich die Trottelzeitung mit dem trotteligen Stadtimage in einen Altpapiercontainer zu stopfen, damit sie Geld erhielten, damit sie bei einem Trottelimbiss ein Fleischgemisch bezahlen konnten, das sie essen mussten, weil sie hungrig waren wie ein Trottel.
Die PR-Trottel setzten sich zu einem »Brainstorming« zusammen, weil sie aus Erfahrung und Bequemlichkeit und aus standhafter jahrelanger Verrichtung ihres trotteligen Gewerbes wussten, dass beim »Brainstorming« die versammelte »crowd« eine Idee gebären würde, aufgezeichnet vom PR-Trottel, der an einer aufgestellten Platte stand, über die ein weißer Bogen Papier gespannt wurde, auf den die Ideen der Trottel niedergeschrieben, hingekritzelt, aufgemalt werden konnten. Was die PR-Trottel als Idee gebaren, eine simple Behauptung, gefiel keineswegs der gesamten Trottelrunde, und sie würde vielleicht nicht einmal einer Mehrheit der Rathaustrottelrunde gefallen haben, wenn sie eins zu eins von der Ideenplatte der Trottel per Trottelkurier ins Trottelrathaus geschickt worden wäre, aber die Trottel verwandten noch viele Tage darauf, den Satz von der Platte zu holen, ihn in einer anderen Schrift sich anzusehen, in dreihundert Schriften, und bei der trotteligsten Schrift angelangt, sagte der Ober-PR-Trottel, das zische, er sagte zwar nicht, es zische voll, weil er wusste, dass es nicht voll zische, aber er hatte sich vor fünf Wochen seinen neuen trotteligen 7er BMW, gemacht für den typischen 7er Trottel, gekauft und war knapp bei Kasse, jetzt rein das Girokonto betrachtet, sonst eh gut aufgestellt, aber der Auftrag des Rathauses musste prompt geliefert werden, und der musste nicht voll zischen, einfach zischen reichte, weil das Rathaus dann ja auch gar nicht so gut bezahlte wie andere Auftraggeber in der Trottelstadt. Dann wurden dem neuen Motto, dem »Claim« der Stadt, wie die Behauptung im Jargon dieser Fachtrottel hieß, vorne und hinten ein paar Seiten hinzugefügt und der Packen wurde geheftet, schön geheftet sagte der PR-Trottel-Boss, weil es gibt ja kein Leben außerhalb der Schönheit und folglich selbst für Trottel, oder gerade für Trottel, Schönheit im Leben, naja es wusste aber auch jedes Trottelkind, dass Schönheit ein Grundrecht der Trottel war. Das Produkt der PR-Trottel landete auf dem Schreibtisch des Bürgermeisters der Trottelstadt. Die Trottelfinger blätterten. Das Trottelauge fand den »Claim«: »Wurz ist anders.«

24.08.2013

Radfahrgesetz

Zum Schutz der Schnelligkeit und Wendigkeit des Fahrrades:
als rechtlichen Beitrag zur Schaffung möglichst fließenden Stadtverkehrs:
zur Gewährleistung der freien Fortbewegung des selbstangetriebenen Bürgers:
stifte ich dieses Städtische Radfahrgesetz,
anwendbar als Bundes- oder Landesgesetz,
nebst Empfehlungen an eine wohlgewogene Regierung, die es, und weitere Maßnahmen, in Kraft setzen möchte.

§ 1
Es gilt die bestehende Straßenverkehrsordnung.
§ 2
Für den Verkehrsteilnehmer auf durch ihn selbst angetriebenen zwei oder drei Rädern gelten die in diesem Gesetz gewährleisteten Ausnahmen von dieser.
§ 3
Radfahrer müssen bei rotem Ampelsignal nicht zwingend halten. Sie dürfen rechts abbiegen, und sie dürfen nach wacher Beobachtung der momentanen Verkehrslage geradeaus weiterfahren oder links abbiegen.
§ 4
Bei rotem Ampellicht abbiegende oder weiterfahrende Radfahrer haben in jedem Fall Nachrang gegenüber Verkehrsteilnehmern, die grünen Signalen folgen, und haften bei Unfällen dementsprechend.
§ 5
Radfahrer haben ihre Geschwindigkeit bei rotem Ampellicht in jedem Fall zu senken, um die in § 3 dargelegte »wache Beobachtung« ausüben zu können.
§ 6
In Fußgängerzonen haben Radfahrer die Geschwindigkeit ihres Fortbewegens auf 25 km/h, und zwar nach eigenem Dafürhalten und ohne die zwingende Anwendung eines Tachometers, zu beschränken. Kontrollen der Polizei mit Radargeräten sollen allmähliche Gewöhnung sowie langfristiges Einhalten dieser Höchstgeschwindigkeit unter Radfahrern herbeiführen.
§ 7
Nach Übertretung der Geschwindigkeitsbeschränkung in Fußgängerzonen wird eine Geldstrafe von wenigstens 20 Euro auferlegt.
§ 8
Alle Geldstrafen, die Radfahrern auferlegt werden, werden in einen zu schaffenden Stadt-Radfahrfonds eingezahlt.
§ 9
Über die auf dem Gebiet des Radfahrens und öffentlichen Verkehrsraumes einzusetzenden Mittel des Stadt-Radfahrfonds entscheidet das Verkehrsamt der Stadt.
§ 10
Sämtliche nach Inkrafttreten dieses Gesetzes im städtischen Raum als öffentliche Verkehrsmittel eingesetzte Fahrzeuge für mehr als 20 Fahrgäste haben im Passagierraum oder an einer Außenseite des Fahrzeuges Platz und Sicherungsmittel zur Mitnahme eines Fahrrads zu schaffen.
§ 11
Die Anzahl der in oder an diesen Verkehrsmitteln transportierbaren Fahrräder hat wenigstens ein Zehntel der nominellen Fahrgastanzahl zu betragen.
§ 12
Radfahrer müssen nicht zwingend Helm oder sonstige Schutzmontur tragen. Doch aus Unfällen entstehende Entschädigungsforderungen sind von Beantragenden, Geforderten und Gerichten so zu behandeln, als ob in Straßenverkehrsordnung und Radfahrgesetz die Pflicht, wenigstens einen Helm zu tragen, vorgeschrieben wäre.
§ 13
Keine jegliche Befreiung von irgendeiner Steuerpflicht soll für Radfahrer in Kraft gesetzt werden.
§ 14
Radfahrer sind von der Vorschrift ausgenommen, dass bei Messungen höchstens 0,5 Promille der Fülle des Blutes eines Verkehrsteilnehmers Alkohol ausmachen dürfen, so sie bei einer Prüfung ihr allgemeines radfahrerisches Können, Fahrtüchtigkeit und Balancefähigkeit unter Beweis gestellt haben und zum Zeitpunkt der Alkoholmessung eine Beurkundung dieser Prüfung vorweisen können. Art der Prüfung und erstmaligen und gegebenenfalls zu erneuernden Beurkundung des Radfahrenkönnens eines Radfahrers sind vom Verkehrsamt zu bestimmen.
§ 15
In jedem Fall darf kein Radfahrer mit einer nachweisbaren Konzentration von mehr als 2,5 Promille Alkohol in seinem Blut ein Fahrrad besteigen.

Anmerkungen.
Der Radfahrer, die Radfahrer = Die Radfahrerin, die Radfahrerinnen.
Ausstattung eines Fahrrads: siehe die Straßenverkehrsordnung.
Aus Ungewissheit über die Gestaltung zukünftiger öffentlicher Verkehrsmittel wird kein Unterschied zwischen Sitzplatz und Stehplatz gemacht, die nominelle Fahrgastanzahl sei im Falle eines mit 20 Sitz- und 24 Stehplätzen ausgestatteten Busses: 24.
Die Vorschrift ist deutlich, und altmodisch, nach Art alter Gesetze: besteigen. Denn wer ein Rad besteigt, wird treten. Wer tritt, wird fallen. Der schwer Betrunkene fällt sehr früh.

Empfehlungen.
Keine Führerscheinpflicht für Radfahrer.
Hilfe bei der Finanzierung von Radfahrkursen in Volksschulen aus dem Radfahrfonds.
Prüfung des Könnens eines Radfahrers nach Einnahme von 1,5 lt Bier oder 0,75 lt Wein.
Bei Verhandlungen zur Kompromittierung vorliegenden Gesetzes »Rot-Regel« nicht fallenlassen, sondern in § 14 eingliedern.
Die Landesregierung der Stadt Wien möge dieses Gesetz anwenden;
Frau Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou, Herr Bürgermeister Michael Häupl.
Herr Christoph Chorherr, dies Gesetz ist die Lösung des Problems, ohne eine radikale zu sein.


22.08.2013

Die Spur des 13A

Der 13A ist ein effizientes Verkehrsmittel,
Das täglich tausende Fahrgäste befördert,
Er kreuzt an Einer Stelle die Mariahilferstraße,
Von der Neubaugasse kommt er,
In die Schadekgasse fährt er.
Oder von der Amerlingstraße kommt er,
Ein zwei Hauslängen tuckert er über die Mahü,
Dann biegt er in die Kirchengasse ab.
Wo soll er künftig fahren; fragen die Regierenden,
Und sie malen auf dem Asphalt,
Sie grübeln über Verkehrsregeln,
Sie sind Theologen.

Er bahnte sich seinen Weg,
Tag für Tag aufs Neue,
Durch die Häuserschluchten Wiens,
Auf wendige Art, zwar nicht leise,
Aber Die Stadt ist leise nie gewesen.

Oft schlief ich in der Kochgasse. Bei einer Frau.
Sie wohnte dort. Ich besuchte sie gern.
In der Früh donnerte der 13A vorbei,
Den Einen Kutsche, mir ein Wecker. Als Wecker ist
Den Einen ist des Radios glückliche Stimme lieb:
»Morgeeen!«, krakeelt Herr Kratky,
Ich liebe ihn nicht.
Ich liebe den 13A, im Nachhinein.

Am Wochenende wollt ich zum Herd der Mutter.
Jenseits von Wien, im Lande der Stürer.
Der 13A brachte mich zum Südbahnhof,
Geradewegs, schnurstracks, eine Spur,
Er schoss durch die Bezirke.

18.08.2013

Design zerstört Rückgrat

Wenn die Verkehrsstadträtin Wiens etwas Außergewöhnliches hätte machen wollen, als sie zur Vertreibung von Autos die Verstopfung der Mariahilferstraße mit postmodernen Jean Jacques Rousseaus plante, hätte sie die aufzustellenden Sitzmöbel mit Rückenlehnen ausstatten lassen sollen. Eine Einzelheit, die Sitzen bequem macht, das Rückgrat stützt, tausende Jahre lang erprobt und für okay befunden worden ist, aber zeitgenössischen Designern irgendwie Probleme bereitet; auf der ganzen Welt verschwindet die Rückenlehne. Das Rückgrat verkrümmt.

Vom Beichtstuhl auf die Straße

Warum schafft die deutsche Sprache nicht, ein Wort für verkehrszeichenlose Straßen, »shared space«, zur Verfügung zu stellen?
Schlimmer, als das englische Wort »shared space« zu benutzen, ist, dieses Wort ins Deutsche zu übersetzen, einsetzen zu wollen – »geteilter Raum«: was sey das?
Das Wort »share« ist durch den Siegeszug der neuen Vernetzungsprogramme im Web so selbstverständlich geworden, dass seine Herkunft unbeachtet bleibt: die Kirchen, die Anonymen Alkoholiker. Orte, wo schwache Menschen zusammentreffen, die etwas Trübseliges loswerden müssen. Dort wird »geshared«. Da darf man Kummer teilen, austeilen, verteilen. Die Gegenwartskunst hat solche Elendstreffen festgehalten: in Fight Club, der Romanverfilmung, tröstet der gesunde Hauptdarsteller sich an der Kortisonbrust eines Hodenkrebskranken. In Sabbath’s Theater, Philip Roths Roman mit dem meisten Analverkehr, geht eine Ehe zugrunde, weil die Frau von Treffen Anonymer Alkoholiker als unausstehliche geläuterte Sauberfrau nach Hause kommt, mit einer Vorliebe fürs »Sharen«. Philip Roths Zorn entzündet sich an solchem Seelenheilüberschwang:

And now that she was sober he hated her AA slogans and the way of talking she had picked up from AA meetings or from her abused women’s group, where poor Roseanna was the only one who’d never been battered by a husband. ... And those words she used! “And afterward there was a discussion and we shared about that particular step….” “I haven’t shared that many times yet….” “Many people shared last night….” What he loathed the way good people loath fuck was sharing.

Der »shared space« im öffentlichen Raum holt diese überzogenen Heilserwartungen auf die Straße, er schürt Hoffnungen. Vom Beichtstuhl in die town hall auf die Straße. Die Schwachen gehen jetzt auf die Straße in der Hoffnung, das »Sharen« des öffentlichen Raumes werde ihnen Trost und Mut geben. Die naivsten Werbefilme, die es in den 1950ern gegeben haben könnte, sollen Wirklichkeit werden – Autofahrer und Radfahrer, die einander zuwinken, einer eifriger als der andere den Vorzug gebend.
Übrigens, ist ein »geteilter Raum« vielleicht Tautologie?
There’s a gap in between, there’s a gap where we meet, where I end and you begin – dichtete bereits Thomasus Yorkus; geht man nach vor in der Geschichte literarisch oder musikalisch dokumentierter poetischer Äußerungen, wird man noch weitere so Wahrheitsstatements finden. Das Geteilte des Raumes kann mit dem »neuen« »shared«-Konzept demnach nicht gemeint sein, wenn er immer schon geteilt ist.
Auch das Aufgeteilte des Raumes erfährt durch Komplettumstellung auf gegenseitige Rücksicht (Verzicht auf Verkehrszeichen) keine krasse Änderung. An einer Kreuzung kommt Gefahr aus drei Richtungen, egal ob Verkehrszeichen dastehen oder nicht.
Und ist shared space ein innovatives wissenschaftliches Konzept? Ich finde nicht. Einer meiner Lehrer in der Fahrschule, ein simpler Schädel, der seinen Unterricht mit Witzen auf Kosten des weiblichen Geschlechts anzuckerte, sprach vom »geglückten Aneinandervorbeikommen« auf der Straße als dem eigentlichen Ziel des Fahrunterrichts. Vom Trottel ausgesprochen, aber wahr!
Ist es ein leicht umsetzbares Konzept? Naa. Im oben verlinkten Artikel wird von einer deutschen Stadt berichtet, die wegen zu hoher Kosten dieses Konzept nicht umsetzen habe können. Denn ein streng nach seinem Erfinder umgesetzter gesharter Space gehört nivelliert.
Wie immer in der Politik, muss die Umsetzung von kollektiv bindenden Entscheidungen mit einer Auszahlung öffentlicher Gelder verbunden werden. So kann die Verwirklichung des Konzepts an Budgetnot scheitern, obwohl eigentlich bloß Entfernung von Stangen und Ampeln notwendig wären sowie der Grips der Bürger. Die Farbe auf dem Asphalt wird verwittern.
Aber erst auf jenen Berater hört man, der nicht nur Abbau, sondern auch Umbau (eben die Straßenebnung) fordert, nicht nur Honorar für eine Vision, sondern auch räumliche Manifestation.
Ich bleibe in China, bis die Kommunisten mich rausschmeißen.

17.08.2013

Sonntagmorgen für alle. Täglich.

Christoph Chorherr macht in der Früh Fotos von der menschenleeren Mariahilferstraße. Dann postet er sie auf seinem Blog und statuiert: »Ist doch wunderbar.«
Wozu muss dieser seit neuem zur Fußgänger-, »Begegnungs«-, Stillstandszone (bzw. Jean Jacques Rousseau Straße) gemachte Boulevard noch herhalten? Für ein Menschenrecht auf tägliche ruhige fromme Sonntagmorgen?
Was ich gemacht habe, wenn ich vom Dasein eine Ruhe haben wollte: ich ging für das Idiotenblatt Österreich von Wolfgang Fellner jeden Sonntagmorgen Zeitungstaschen überprüfen. Damals hatte ich eine Freundin, mit der ich wunderbaren Geschlechtsverkehr hätte haben können, aber ich brauchte Geld, und sobald ich unterwegs war, überkamen mich Zufriedenheitsgefühle; es waren stille Morgen, die Straßen von Wien gehörten mir und meinem Rad: »ist doch auch wunderbar« lag mir auf der Zunge, im Herzen, in den Beinen. Ich hätte sagen können: Verweile doch, du bist so schön.
Aber mir fiele nicht im Traum ein, dieses private Vergnügen institutionalisieren, perpetualisieren, popularisieren zu wollen.

Jean Jacques Rousseau Straße

Die neue Mariahilferstraße erlöst den Fußgänger endlich von der Pflicht, den Blick auf die eigentliche Welt zu richten. Der Siegeszug der Rousseauschen Urlaubsethik setzt sich in der banalsten Wirklichkeit, im eigentlichsten Alltag, in der typischsten, meistzitierten »Lebenswelt« durch: der Kahn, in dem Rousseau schwärmt und sich von der Mitwelt löst, ist in der Straße angekommen. Jeder darf in seinem imaginären Schiffchen über die Straße treiben.
Gestern wurden die Verkehrsregeln zur Fußgängerzone in Kraft gesetzt, Politiker der Grünen Partei stellten sich für einen Photoshoot stolz auf die Straße. Die triumphierende Verkehrsstadträtin Wiens und ihr »probeweises« Projekt. Freudig neben der 20 km/h-Markierung der Zone, in der Autos, Radfahrer und Fußgänger gleichberechtigt sich »begegnen« dürfen. In einem Zeitungskommentar fragt jemand: Sollte sich die 20 km/h Zone nicht nach den Langsamsten richten, sind 20 km/h nicht noch immer zu schnell?
Eine politische Frage; die Schwesterfragen: Sollen in der Schule nicht die Besten sitzenbleiben, bis auch die Schlechtesten durch den Stoff sind? Sollen die Wiener sich nicht nach den Langsamsten auf der Mariahilferstraße richten, den Punks  und in ihren Autos herumhocken, anstatt irgendwohin zu wollen?

12.08.2013

All my past and all my futures

Was unterscheidet Götter von Menschen?
Hörwunsch: Thom Yorke singt Hugo Wolfs Goethelied Grenzen der Menschheit; Dietrich Fischer Dieskau singt Radioheads Pyramid Song. Oder Hugo Wolf spielt mit Radiohead bei Pyramid Song den Klavierpart, und Phil Selway steigt in die Vergangenheit hinab und begleitet Hugo Wolf bei Grenzen der Menschheit mit dem Schlagzeug.

11.08.2013

Vereinigte Bundesländer von Österreich

Sich in die österreichische Gesellschaft integrieren heißt sich in eine US-amerikanische Gesellschaft zweiter Ordnung zu integrieren und von einem Blutsbund mit Ritualen geduldet werden, auf die man gerne verzichtet, die man aber zumindest qua Lippenbekenntnis toll finden soll und der man auf keinen Fall eigene Rituale zur Seite stellen darf, außer an designierten Kulturabenden progressiver Volksschulen, Pfadfinderlagern und in Broschüren. Es gibt keinen Grund für den Türken, diesen Pfad zu gehen. Ein Türke ist ein türkischer Bürger erster Ordnung. Kanzler Kohl, wie die neulichen Enthüllungen zeigen, schätzte das so ein. Der spielte nicht den Beleidigten, wenn seine Gastarbeiter ihrem Gastland keinen leidenschaftlichen Dank darbrachten (als ob dies deutsche Art gewesen wäre!), sondern erkannte den Unterschied zweier Kulturen an und glaubte, zumindest privat, an eine sinnvolle Grenze für die Minderheitsbevölkerung.
Inklusive Kohl hat kein »ernstzunehmender« Politiker öffentlich so gesprochen und lässt damit zu, dass der Pöbel weiterhin dem Irrglauben anhängt, ein Türke müsse sich integrieren in die Gastkultur. »Auch wir sind ein Volk erster Ordnung!«, sagt er. Der Türke soll Österreicher werden. Mitsingen soll er: »I am from Austria«, das Lied des österreichischen Plebschanteurs Wolfgang Fendrich, dessen Klimax in englischer Sprache verfasst ist, damit die amerikanische Gesellschaft erster Klasse weiß, welches Untervolk des Kapitalismus sich da zu Wort meldet.
Just diese »eigentliche« österreichische Nationalhymne traut sich nicht, in einer österreichischen, für die Umwelt fremden Sprache die Nation kundzutun.
Ein Volk, eine Gesellschaft, ein Staat wie Österreich ist für den Nationalisten – und das sind die meisten Leute, man kann bei diesem Thema nicht mit Internationalität à la Robert Musil daherkommen – stets bloß als angenehmer, drolliger oder gefährlicher Bastard zu betrachten, angenehm wenn aus ihm eine Erfindung zur Besserung der westlichen Welt entspringt, drollig wenn das Urvolk aus seinen Eigenheiten eine überregionale Ware herstellt (z.B. DJ Ötzi in deutschen Ländern; früher Arnold Schwarzenegger, nunmehr Christoph Waltz in der Filmwelt); gefährlich, wenn eine Abkehr vom westlichen Weg gewittert wird, z.B. wenn im Erblicken Jörg Haiders Erinnerungen an Hitler wachwerden (Heinz Christian Strache wirkt in dieser Hinsicht gefährlicher – erstens, weil er am Leben ist, zweitens, weil irgendwas an seiner Visage so gemein aggressiv rüberkommt, dass Haider im Vergleich dazu ein charmant-gefährlicher Mephisto ist, der linke Frauen feucht werden ließ. »Ich bereue mein Lebtag, ihn kein einziges Mal gewählt zu haben!«)
Es soll einmal ein Politiker auftreten, der Nationalist ist, aber gelassen: ein Österreicher durch und durch, der Türken nicht hasst, die EU gut findet, aber bei der Idee der »Vereinigten Staaten von Europa« seinen Most auf die Heurigenbank speit, weil er sich mit der Kleinheit und den schlecht exportierbaren Eigenheiten seines Landes abfindet und kein Leben lang den Anschluss an eine größere politische Einheit erstrebt (wie z.B. Niko Alm).