30.12.2012

Ein Roman in Reality

Hier sieht man, dass der Regietheaterregisseur Calixto Bieito ein netter Mensch ist, der sich in den Gängen des Theaters verirrt, wo er Proben leitet, den Komponisten György Ligeti nicht kennt, sexuell gehemmt ist (weil er bei Jesuiten zur Schule ging), eine Frau und Kinder hat, sein Leben recht glücklich findet, keinen Philosophen an sich erkennt, und der sich um den Schriftsteller Michel Houellebecq, seinen Gesprächspartner, sorgt, der so schweigsam und zögerlich mit ihm »durch die Nacht« geht (und der eine einzige affirmative Antwort gibt, indem er zustimmt, dass Calixto Bieito kein Philosoph sei). Ein herrliches Gespräch, teilweise Woody-Allen-haft, der liebe spanische Theatermann sorgt sich um den ernsten, arroganten Franzosen, der durchaus eine Konversation führen möchte – nämlich erstens, als er einen berühmten Schauspieler fragt, welche Rolle er gerne aus den Houellebecqschen Romanen spielen möchte – der Schauspieler gab an er liebe die Houellebecqeschen Romane, vermag aber dann keine Antwort zu geben, die dieses Gespräch ins Rollen bringen könnte, vermutlich kennt er die Romane nicht einmal, hat sie zumindest zu wenig verinnerlicht –, und zweitens, auf derselben Bühne, als er demselben Schauspieler sagt, er solle Französisch sprechen können, was gewissermaßen eine Einladung, eine Verlockung, ein Angebot zu einem Gespräch ist, aber eben ein französisches.
Noch herrlicher wäre, von diesem Abend eine lapidare Beschreibung aus der Feder Houellebecqs zu erhalten, die Ähnlichkeit mit einer Passage aus einem Houellebecqschen Roman wäre verblüffend.
Also sieht man hier einen Houellebecqschen Roman, der Schriftsteller Houellebecq übersteigt die Grenzen von Schrift und Papier und stellt leibhaftig eine Szene aus einem Houellebecqschen Roman dar.

28.12.2012

Der Mund als Tor der Kommunikation

Rainald Goetz beschreibt seit seinem ersten Roman Irre immer wieder die Handlung des Sprechens losgelöst vom Sprecher. Zuletzt in Loslabern und Johann Holtrop verwendet er hierzu die Verben »An-« und »Zutexten«. Stoße ich gestern bei Robert Walser auf diesen Satz: »Da verwandelte sich auf einmal die [] Wohnung in den Laden jenes häßlich frisierten und geschminkten Zigarrenweibes, bei dem Joseph früher täglich auf einem Stuhl gesessen hatte, um Geschichten aus ihrem Mund anzuhören.« Oder Elektra, nachdem sie Rache für ihren ermordeten Vater Agamemnon phantasiert, in Tanzekstase gerät, und ihre störende Schwester anfaucht: »Was willst du? Rede, sprich, ergieße dich, dann geh und laß mich!«
Auf solche Art zu sprechen, den Sprecher von seinem Text zu spalten, ist sicher beim Pöbel etwas ganz noch Unerhörtes. Er hört hier und da einen Politiker an einem anderen Politiker »verbalen Durchfall« diagnostizieren, was aber – selbst oder gerade für den Pöbel – zu unseriös ist, eine zu gemeine, Deixsche Metaphorik, mit der man nicht an die richtige Stelle im Hirn appelliert, da das Gewissen, das Es, oder was auch immer, selbst beim schlimmsten Grobian einen Funken Anstand besitzen muss, daran muss man glauben, sonst verfällt man in die Lage, wo man glaubt, es habe alles keinen Sinn, und an diesen Anstand muss man sich richten, indem man z.B. sagt: »Stoppen Sie bitte die Wörter aus Ihrem Mund.«

15.12.2012

Geländer

Vor zwei wochen fuhr ich in der stadt henghe eine kleine fabrik suchen und kam dabei auf diese ungesicherte straße neben dem fluss. Die passage machte spaß, das autofahren kam mir zwar nicht abenteuerlich vor, aber ich musste mich konzentrieren, es war zumindest ein bisschen gefährlich.


05.12.2012

Update Giftzwergprosa

"Johann Holtrop" hab ich dann gelesen. Die Beschreibungen der Managertypen sind doch gelungen, weshalb die viele Kritik an Goetzens vermeintlicher "Kälte"? Ich meine Beschreibungen à la: Holtrop möchte eine Villa bei Nizza kaufen und kann, weil ers gewohnt ist, nichts als nörgeln. Es ist doch so. Bei anderen Gelegenheiten, Steve Jobs Tod, bewundert man das Nörgeln des Managers.

Wer wird Bürgermeisterin

Vor kurzem schlug Michael Bloomberg Hillary Clinton vor, sie möge Bürgermeisterin der Stadt New York werden. Sie lehnte ab. Das muss Christine Quinn geärgert haben, da sie sich als eigentliche Vorliebe Bloombergs für das Amt darstellt und nun ans Licht kommt: Bloomberg will Hillary. Ich würde Hillary auch bevorzugen, ich fand vor einigen Wochen die Fotostrecke aus Christine Quinns und deren Lebenspartnerin Wohnung so verstörend, ich sah ihr Nachtkästchen, ein viel zu intimer Einblick. Bloomberg in seinem Wohnzimmer in seinem Stadthaus sitzend mit offiziös wirkenden Sitzmöbeln ganz was Anderes als dieses farbige Nachtkästchen.

04.09.2012

Giftzwergprosa

In der SonntagsFAZ wurde die Rezensionssperre gebrochen, die einzuhalten Rainald Goetz die Kritiker während eines Treffens im Suhrkamp Verlag gebeten hatte. Der Kritiker ärgert sich über Goetz' »Giftzwergprosa«, findet dass Goetz selbstgerecht und mitgefühllos sei, und kann einzig ein paar Stellen auflisten, die ihm inmitten eines ansonsten »kalten, schrecklichen« Buches gefielen.
Wenn ich das Buch in ein paar Tagen selber lesen kann, wird also zu untersuchen sein, ob dieser solide bürgerliche Rezensent recht hat, der Goetz quasi fehlende Originalität vorwirft, oder ob Goetz ein Meisterwerk in der Manier Thomas Bernhards, eines seiner Vorbilder, gelungen ist.


26.06.2012

Verpflichtende Nierenkrawatten

In Schuhgeschäften, wo sie sich besonders oft nach unten beugen, sollen Frauen Nierenkrawatten tragen: ein Stück Stoff, das die zum Vorschein kommende Haut über dem Gesäß bedeckt.
Bei Frauen der unteren Klasse wird einem so der Anblick des Arschgeweihs erspart. Bei fetten Frauen bleibt einem Schweißgeruch erspart. Und bei schönen Frauen muss man sich nicht ärgern, dass man momentan nicht Sex mit ihnen haben kann. Wenn man momentan keinen Sex mit ihnen haben kann.
Man soll Nierenkrawatten den Frauen anlegen, wenn sie das Geschäft betreten, so wie einst schlampig gekleidete Männer in bestimmten Restaurants einen Schlips verordnet bekamen.

21.06.2012

Der unendliche Abend

Das Sonnenglühen hängt hinter dem Westbahnhof. Das Licht wird heller. Kehrt die Sonne um?

14.06.2012

11.06.2012

Die Uhrzeit. sponsored by

DDMG medienwappler

(beitrag folgt, bin unterwegs, die wischtexttechnologie erlaubt noch nicht so ein schnelles schreiben wie ich es brauche)

06.06.2012

McSautrog

In den letzten zwei Wochen habe ich drei McFlurrys in drei verschiedenen Mecchis bestellt. Kein einziges Mal wurde er gedreht. Heute überwand ich mich und ließ den Becher mit den reingeworfenen Rohzutaten stehen – »bitte drehen!« Worauf der Kellner mich verspottete. »Ich kann ganz weich machen, mit Milch!«, wie ein verdutzter Bauer, der von der Gourmet-Sau daran erinnert wird, er möge den Trog recht appetitlich befüllen.
Unterschied: das Wesen des McFlurry ist das Drehen, Maschine Löffel und Becher wurden eigens zu diesem Zweck entwickelt. Daher blieb ich störrisch. »Bitte drehen!« – störrisch wie der Attentäter in meiner wunderbaren Kurzgeschichte »Steuern runter!«

05.06.2012

Blur predigen, Oasis hören

Peinlich, mir geht gerade die refrainmelodie von „stand by me“ nicht aus dem kopf, dabei kann ich die musik und die band nicht gut leiden.

04.06.2012

Urban stretch, rural relief

Voriges Jahr habe ich aus Spaß einen jener möchtegern-tiefsinnigen Werbetexte geschrieben, die einem Industrieerzeugnis Sinn und einen geschichtlichen Ursprung verleihen sollen. Es geht um die neue Produktreihe eines Unternehmen, das Garne herstellt.

Although by no means a metropolis, Weimar acquired all the structural features of a modern city when Goethe served there as minister for the dukedom. He experienced power struggle, deficits, and urban development. Striving for time to write, like Kafka would be 100 years afterwords, Goethe decided to resign. After ten years of hard work as secretary for infrastructure and defence, taking his what would nowadays be called »genius hour« (or, at Google, plain »free time«) was not enough. He fled to Italy and spent two years there. He now could enjoy in space what had entertained him, in the form of an education in Latin and Greek, since the age of 6. He equipped himself with impressions, feelings and knowledge that would serve him as a life time storage for the works to come – among them the staple of world literature, »Faust«. As an old man, he still wished to continue his work, and be reborn into a new body. Goethe's journey through Italy is one of the most prolific time-outs in history.

As Hans Magnus Enzensberger, a writer, once described the German-speaking chattering classes, »Goethe is everybody’s grocery store, everybody can take out of him what is pleasant for the moment.« We too are taking his as a ready-made functional tale.
But we see in Goethes life and experiences so much forebodings of ours, we must admit we cannot ignore him. With his proclamation of »how happy he is that he is away« in his bestseller »Werther’s Sorrows« and his description of the everlasting human efforts to expand our world into space in his posthumous »Faust II«, he reminds us that human life unalterably consists of expansion and shrinking, of industrious caring for things and of carelessly, even recklessly escaping them.
We at *** call these forms »urban stretch« and »rural relief«. We created two new types of yarns for these occasions. We aim to contribute to the best fabrics for people, who by being human must go from »stretch to relief, and from relief to stretch«, or, in Goethes terms obviously, from heaven through earth to hell, and then back upward to heaven.
Like Goethe, who cherished his best suits all the time, anybody wearing fabrics of *** yarns will like them for being a reliant, always functioning, always pleasing mate.

03.06.2012

Die optimale Tweetlänge

beträgt für mich 287 Zeichen. (Ich zählte in Roland Barthes' »Begebenheiten« die Zeichenanzahl der zwei kürzesten und längsten sowie zweier medianisch wirkender Notizen und ermittelte den Durchschnitt. Eine deutlich überlange Notiz blieb unberücksichtigt.)
(Jemand soll Barthes als den Vorläufer und als den Theoretiker des Tweetens würdigen.)
(Und man soll ein Twitter für Typen wie mich programmieren, die glauben, auf 287 Zeichen wären ihre Tweets viel besser.)

Bald Frauendiktatur

Die Beamtenministerin verkündete vergangene Woche mit »mächtigem Stolz«, dass leitende Stellen der österreichischen Beamtenschaft bereits zu einem erklecklichen Prozentsatz von Frauen besetzt werden, die genaue Zahl kann man gugeln. In der »Privatwirtschaft« sei von so einem Erfolg noch nichts zu sehen.
Der tschechische Kollege vom Verkäuferteam war gerade zu uns in die Werkstatt gekommen, lauschte ebenfalls den Nachrichten, und tröstete mit den halb lakonisch, halb aufbrausend geäußerten Worten: »Bald Frauendiktatur.«

Als nächstes trug der Radiomoderator die Meldung vor, der mutmaßliche Vergewaltiger Julian Assange werde von der Justiz Großbritanniens an Schweden ausgeliefert, wo zwei Schwedinnen den berühmten Verpfeifer von Amtsgeheimnissen schwerer sexueller Übergriffe gezeiht hatten.
Meinem tschechischen Kollegen war das immer noch dasselbe Thema, alles hängt mit allem zusammen, er fing an, in seinem gut gelernten Deutsch zu erzählen:
»Als ich nach Österreich gekommen bin, habe ich mich gewundert, was alles do ist Sexualmissbrauch. Wenn du einer Frau sagst, du hast schöne Beine, ist schon Sexualmissbrauch.«

François Bovary

Als Person ähnelt François Hollande dem faden Hahnrei Charles Bovary. Aber das kann einem ja egal sein. Für Frankreich, Europa und die Welt zählt sein politisches Vorhaben, die Zeit des harten Sparens zu beenden.
Dieses Vorhaben vergleicht der Spectator mit Emma Bovarys Sehnsucht nach Luxus. So wie Emma immer neue Schulden aufnehme, um ihre Träume zu verwirklichen und eine feine Dame spielen zu können, und am Ende sich umbringt, laufe Hollande Gefahr, sein Land (und Europa) gegen die Wand zu fahren.
Hier gehts zum Artikel, allerdings steht eine Mautstelle (paywall) im Weg.
Genauso wie vor dieser herrlichen Meinung aus der aktuellen Sonderausgabe zum Diamantjubiläum der Königin: der Mensch funktioniere nun einmal nach Binärschemata (da kann noch so viel dekonstruiert werden), möge seine Ideale fallenlassen, und Europa neu aufteilen, zum Beispiel in Länder die englischsprachige Filme synchronisieren und welche die ihrem Volk die Originalfassungen vorsetzen und so zur guten und erfolgreicheren Gemeinschaft der Englischsprecher gehören.


Nachtrag vom 5.VI.2012:
Lies über Leopold Kohr.

22.04.2012

Schöne neue deutsche Namen

Grimmhorst
Knurrbert
Schnurrfried
Kriegsieg
Ausharr
Brunzwart
Augentrost (via Goethe)
Knechtbert
Waldknecht
Futhild (fem.)
Surrhold
Wahndolf
Reinfahr
Futbert
Wirrhold
Frosthard
Rankhold
Schönhard
Heilfurz
Brunnquell (via Moritz)
Rechenknecht (vie Nietzsche)

16.04.2012

Ein Unzeitgemäßer in der Regierung?

Der arme Wissenschaftsminister Töchterle musste im Sonntagspresschen die Altphilologie schönreden.

Er schlug sich wacker, warf aber in einem wordrapartigen Nebengespräch fernab der Philologie mit drei Fremdwörtern um sich, die den Frechdachs der Nation, Claus Pandi, als er erwacht war, am Sonntagnachmittag dazu veranlassten, den Wissenschaftsminister zum »Sonderling« zu stempeln.

Das widerte die Feinsinnigen des Volkes an, wie jede Meldung Pandis, und sie feuerten zurück; auch ich. Subtil, rätselhaft und wundersam schrieb ich auf Twitter: »pandis aufgeblasene beschränktheit«.

Ich spielte auf die Art an, wie Pandi sich einerseits immer als zuvorderststehender »kleiner Mann« aufführt und seine Dummheit inszeniert, dann andererseits immer unterschwellig das harmlose, verspielte Kätzchen mimt, aber wie er im Endeffekt immer den Eindruck eines Trottels hinterlässt, und zwar, eben, eines großen, aufgeblasenen.

Dann legten die Feinsinnigen sich nieder und sahen fern, der Feinsinnigste unter ihnen aber, ich, zog noch einmal in die Aprilkälte hinaus und huldigte im Stillen dem Wissenschaftsminister: dem gestandenen Philologen!

Philologe sein, wie Nietzsche in seinen Fragmenten vermerkte, macht Einen immer zutiefst unzeitgemäß. Das wollen wir alle, und wir brauchen es.

Schade ist, dass im Lichte eines Claus Pandi bereits Töchterles harmloses Lateinlehrergeschwafel als unzeitgemäß erscheint.

Unsere Ignoranz den Chinesen gegenüber

Dem Pöbel hier ist es lieber, Bo Xilais Sohn studiert in Harvard und lebt dort in einer 2000 Dollar-Mietwohnung, als dass, aus einer freieren Volksrepublik, Tausende zu uns studieren kommen.
Ich selber bin mir noch im Unklaren, was ich von dem allen halte. Aber es ist total im Passieren gerade.

14.04.2012

Tisch als Gefäß der Heimat

“wenn ich in wenigen wochen nach china übersiedle, möchte ich als einziges ding den esstisch aus dem elternhaus mitnehmen, in ihm ist alles.”


Das mein erster Gedanke, als ich zu Ostern auf unserer Bank unter dem (herrgottlosen) Herrgottswinkel herumlungernd und mit Instagram mich spielend den Tisch mit seinen Kerben und seiner in die Jahre gekommenen Glätte fotografierte.
In dies Holz goss ich Tränen beim Aufgabemachen als Volksschüler. Als Gymnasiast breitete ich jeden Tag das Presschen und den Standard darauf aus, aß die Mahlzeiten meiner Mutter, die mit mir sprechen wollend am Tisch saß und mein Schweigen ertrug, ein Schweigen, das kein bäurisch-heroisches-gottfriedkellerhaftes Schweigen-als-Gesagthaben (Heidegger) war, sondern pubertäre Feigheit und Schüchternheit, geopfert um jämmerliche Leitartikel lesen zu können und Presschen-Kolumnisten, deren Lieblingswort »freilich« war.


Meine Weiber waren hier, sie aßen Müsli, stellten das Coca-Cola-Experiment mit mir nach, warteten auf mich wenn ich beim Anziehen trödelte, das nervöse Tippen ihrer Fingernägel hinterließ feinste Kerben, sie wollten nicht warten, sondern weg von diesem stillen Tisch und auf in lautes, alkohol- und rauchdurchdrungenes Getümmel. Aber manchmal, wenn das Haus leer war, wollten sie auf dem Tisch flachgelegt werden. Ich war prüde und führte sie auf die warmen Fliesen im Bad, ins Bett, oder ließ sie überhaupt gehen, verlor sie an Masturbation und Emanzipation und andere Männer mit anderen Tischen. Und einmal war sie prüde.
Meine Schwestern ärgerten mich, meine Faust wurde beim Aufschlag auf die zehn Zentimeter dicke Tischscheibe verletzt, dieser Tisch ist stärker als ich.
Die Kinder meiner Schwestern fahren mit türkisen Filzstiften in den Furchen herum, aber man schabt die Farbe erfahren mit einem langen Fingernagel ab, das Holz ist wachsig und weich unter dem Lack, der überall zersplittert ist und doch noch eine konsistent glänzende, scheinbar unverwüstliche Oberfläche bildet.
Kakao trank ich an diesem Tisch, meine Großmutter erzählte wie im Krieg Türen eingetreten und Menschen auf Dachböden erschossen worden waren, mein MacBook Pro stand hier drauf und diente als Werkzeug zur Herstellung einer Festschrift für meinen Vater, als er 50 wurde, im Jahr seines Ruins.


Das Reisekofferunternehmen Louis Vuitton soll Tische herstellen.

Hemd, T-Shirt, Filter

05.04.2012

Ölbergstunden

– Ein Gedicht von Martin Heidegger aus den 20er Jahren seines Lebens –

Ölbergstunden meines Lebens:
im düstern Schein
mutlosen Zagens
habt ihr mich oft geschaut.

Weinend rief ich: nie vergebens.
Mein junges Sein
hat müd des Klagens
dem Engel »Gnade« nur vertraut.

01.04.2012

Die bunten Gojim

Abgesehen von der tieferen Betrachtung Nietzsches, wonach an Gott zu glauben nunmehr geschmacklos sei:

Bei meinen sporadischen Messbesuchen, zu Weihnachten, Ostern, in bezahlten Totenandenkmessen der Verwandtschaft, muss ich sehen, dass es in der Kirche von Leuten mit schlechtem Geschmack wimmelt.
Da erscheint der Sport- und Religionslehrer eines Gymnasiums jahrelang in einer Trainingsjacke, auf der Trainingsjacke leuchten drei weiße Streifen, wir erfahren welchem Fußballverein er angehört und welcher Möbeltischler und Gastwirt diesen sponsern. Der Mann darf bei der Kommunion Hostien ausgeben, mit ernstem Gesicht legt er einem die Christusscheibe auf die Handfläche, powered by adidas.
Auch unter den Alten finden sich welche in Funktionsjacken aus Mikrofasern, von »Jack Wolfskin« oder »Northland«, sie sind rot gelb oder grün und sie sind wasserabweisend.

Heute am Palmsonntag begnügte ich mich mit der Fernsehübertragung aus Rom, der Papst wies darauf hin, dass der Mob heute Jesum stürmisch empfängt und in ein paar Tagen von Pilatus den Tod für ihn fordert. Ich aß Vollkornbrot und Semmeln mit Meersalzbutter und konnte mich der Frommheitssehnsucht nicht erwehren, die mich sporadisch ergreift (nicht nur an hohen Feiertagen), ich wollte unschuldig sein, weinen, an meine geliebten Großmütter denken, und das Singen eines Liedes sollte die Unschuld die Tränen und die Großmütter in Einem mir ins Gemüt treten lassen.

Die Kirchenmusik ist das mächtigste Mittel der von Nietzsche beschriebenen systematischen Zerweichlichung des Volkes.

Mir kam die Melodie von »Fest soll mein Taufbund immer stehen«, ein Gassenhauer, ich war traurig, dass ich in keiner Kirche mich aufhielt, wo ich mein Sehnen dem Gesangschwall der Kirchgänger beimengen konnte, der sich mit Weihrauch in die Höhe ergießt, so wie es bei Christian Kracht von oben nach unten schneit (in diesem Buch). Dank Christian Kracht schreibe ich in letzter Zeit mit diesen Flaubertschen, bloß von Beistrichen getrennten Hauptsätzen.

Ich ging auf YouTube und landete
bei diesem Video. Der Organist trägt eine schwarz-grüne Windjacke.

Jetzt gehe ich mit dem Hund spazieren, ich hüte das Haus meines Hund besitzenden Vaters, ich hoffe, dass der Teufel aus dem Beagle steigt und mir anbietet, einem ernsten, dunkeln, höchstens österlich-violetten Gottesdienst beizuwohnen.

21.03.2012

Das Tagebuch von Charlie Charles


Mit etwas Glück wird man Teile des folgenden von mir verfassten PR-Textes kommende Woche in der NÖN Neunkirchen lesen können:


Florian Karl Dandler hat einen Roman über einen Cowboy und dessen vielfältige Persönlichkeit geschrieben, der im Vindobona-Verlag veröffentlicht wurde. Es ist eine Mischung aus Western, Reisebericht, theologischen Traktaten und pornographischem Schundheft.

Zum Autor.
Florian Karl Dandler begann im Alter von 14 Jahren, das „Tagebuch von Charlie Charles“ aufzuzeichnen. Damals spielt er noch mit Playmobil Cowboys und Indianern, seine jugendliche Fantasie erschafft die Romanfigur Charlie Charles, die im Wilden Westen Duelle eingeht, Gangster verfolgt, sich mit Indianern verbrüdert.
»Es ist ein Entwicklungsroman«, sagt der 23-jährige Autor, der das Buch unter dem Pseudonym Florian Karl veröffentlichen ließ. „Da wir jedes Jahr in den Ferien auf Urlaub geflogen sind, geht auch Charlie Charles auf Reisen.“
Als Dandler Theologie studiert, begegnet sein amerikanischer Romanheld im österreichischen Dorf seiner Vorfahren einem charismatischen Prediger.
Es ist die Story, die diese Lebensabschnitte auf spannende Art neu schildert und zueinanderführt!



19.03.2012

Katholische schulen

Wichtiger als missbrauch „bis in die neunziger jahre“ (profil): der heutzutage dort grassierende pietismus, die verweichlichung, der  m a n g e l  an zucht u ordnung.

17.03.2012

Pfeifen und Lächeln

Als ich einmal in unerwarteter Aufwallung von Glück, beim Schlendern durch die Straßen, ein Lied zu pfeifen anfing, kam mir eine Frau entgegen, die mich anlächelte. Das Glück ward gesteigert. Da wurde mir klar, dass man beim Pfeifen nicht lächeln kann. Schon war die Frau an mir vorübergegangen. Ich hatte beides auszuführen versucht, weiterpfeifen und zurücklächeln, und muss dabei mürrisch erscheinende Hautverfaltungen um den Mund gehabt und ein wenig bescheuert ausgesehen haben.

Es gibt verschiedene Arten von Flirt.
Den vergeblichen Flirt.
Den eingebildeten Flirt.
Den verhinderten Flirt (siehe oben).
Den vorzeitigen Flirt.
Den nachgeholten Flirt.
Den aufgehobenen Flirt.

02.03.2012

Endlich ein Smartphone

Bin heute von einem nach vielen Jahren noch tüchtig funktionierenden, aber verwahrlosten Nokia-Handy auf ein Samsung Galaxy Ace umgestiegen und euphorisiert: dem Ding fehlt nur noch eine Möse.

07.02.2012

ORF: Die Mikrowellenspeisen unter den Journalisten

Erstmals zu diesem Thema niedergeschriebene Gedanken siehe hier.

Jeden Tag höre ich Sätze mit doppelter Subjektnennung aus dem Mund eines ORF-Angestellten sprudeln (manchmal wahrscheinlich sind es nur Freie Mitarbeiter des ORF, die aber ebenso gut diese Technik beherrschen. Sie müssen wirklich endlich alle angestellt werden.)

Heute schrieb ich wieder eimal frohgemut einen auf!

»Unsere Schistars die sind auf alles vorbereitet.« (Kein Beistrich gewollt)

Dieser Satz! den hat der Adi Niederkorn gesprochen. Armin Wolf der hätte ihn aber auch sagen können. Alle ORFler, sie reden alle so. Diese Leute sie setzen nicht einmal mehr eine Pause zwischen Nennung des Subjekts und dessen Wiederholung. Die kennen kein Salzen; da sticht man rein, dann wird es warm und geht auf. Mikrowellenfressen.

Egal, welcher ORF-Reporter das Maul aufreißt, sie haben diese nervende Art, das Subjekt, von dem sie gerade sprechen, ein zweites Mal anzugeben –

1. wohl um rhetorisch begabt zu wirken, Dramatik in den Text zu bringen (was aber in obigem Beispiel erfordert hätte, dass Niederkorn eine Pause macht; hat er aber nicht; daher meine Niederschrift ohne Beistrich. Eigentlich macht keiner mehr diese Pause [A la »Mon amie, elle a....«]. Es ist ein dummer Selbstläufer geworden).

2. oder die scheinbar dummen ORF-Seher und -Hörer müssen daran erinnert werden, von welchem Subjekt vor zwei Sekunden, von welchem Subjekt gerade die Rede war (vor zwei Sekunden).



23.01.2012

Clash within civilizations

Das Gerede von der »komplett anderen Welt«, die China sei, verstellt einem die Sicht auf die komplett anderen Welten innerhalb unserer, westlichen, Welt. Karl Heinz Bohrer zieht in diesem Gespräch mit Nachdruck die Grenzen zwischen deutscher, französischer und englischsprachiger Welt.

Einige Hongkonger weisen eine Festlandchinesin zurecht, die in der Ubahn frisst. Darauf wird in einer Umfrage festgehalten, dass (nur) 34% der Hongkonger sich Chinesen dünken; darauf lässt ein  Nachfahre von Konfuzius, Herr Kong Qingdong, den weisen Spruch los, die Hongkonger seien »Hunde, keine Menschen«.

Zivilisationsübergreifend: die Stärke Bohrers und Hongkongs; die Dummheit chinesischer Hongkongtouristen und Philosophenerben.

1. Bohrer wetterte jahrzehntelang gegen den Akt des Essens in öffentlichen Räumen (siehe z.B. Stil oder maniera? oder dieses geile Geruchsgespräch.) Als er anlässlich seines Rückzugs als Herausgeber der Zeitschrift Merkur im Radio interviewt wurde – siehe Link oben –, kam das Gespräch wieder auf dieses Thema, und er verkündete ohne eine Spur des Überdrusses seinen Ekel vor »Törtchen« und Bahnhöfen, die zum »Fressen« verleiten.

2. Ein Volk, das sich als Gemeinschaft von »Menschen« sieht und seine Nachbarn als Ansammlung von »Unmenschen«, »Hunden« oder dergleichen, ist auf dem Weg zum Krieg – so in etwa die Meinung Richard Rortys in einer seiner pragmatisch-ethischen Abhandlungen. Weil das erlaube, jeden umzulegen, der einem partout nicht als Mensch vorkommen will. Es sei besser, wenn man sich selbst und die andern als leidende Kreaturen beschreibe. Denn leiden tun wir alle.