14.04.2012

Tisch als Gefäß der Heimat

“wenn ich in wenigen wochen nach china übersiedle, möchte ich als einziges ding den esstisch aus dem elternhaus mitnehmen, in ihm ist alles.”


Das mein erster Gedanke, als ich zu Ostern auf unserer Bank unter dem (herrgottlosen) Herrgottswinkel herumlungernd und mit Instagram mich spielend den Tisch mit seinen Kerben und seiner in die Jahre gekommenen Glätte fotografierte.
In dies Holz goss ich Tränen beim Aufgabemachen als Volksschüler. Als Gymnasiast breitete ich jeden Tag das Presschen und den Standard darauf aus, aß die Mahlzeiten meiner Mutter, die mit mir sprechen wollend am Tisch saß und mein Schweigen ertrug, ein Schweigen, das kein bäurisch-heroisches-gottfriedkellerhaftes Schweigen-als-Gesagthaben (Heidegger) war, sondern pubertäre Feigheit und Schüchternheit, geopfert um jämmerliche Leitartikel lesen zu können und Presschen-Kolumnisten, deren Lieblingswort »freilich« war.


Meine Weiber waren hier, sie aßen Müsli, stellten das Coca-Cola-Experiment mit mir nach, warteten auf mich wenn ich beim Anziehen trödelte, das nervöse Tippen ihrer Fingernägel hinterließ feinste Kerben, sie wollten nicht warten, sondern weg von diesem stillen Tisch und auf in lautes, alkohol- und rauchdurchdrungenes Getümmel. Aber manchmal, wenn das Haus leer war, wollten sie auf dem Tisch flachgelegt werden. Ich war prüde und führte sie auf die warmen Fliesen im Bad, ins Bett, oder ließ sie überhaupt gehen, verlor sie an Masturbation und Emanzipation und andere Männer mit anderen Tischen. Und einmal war sie prüde.
Meine Schwestern ärgerten mich, meine Faust wurde beim Aufschlag auf die zehn Zentimeter dicke Tischscheibe verletzt, dieser Tisch ist stärker als ich.
Die Kinder meiner Schwestern fahren mit türkisen Filzstiften in den Furchen herum, aber man schabt die Farbe erfahren mit einem langen Fingernagel ab, das Holz ist wachsig und weich unter dem Lack, der überall zersplittert ist und doch noch eine konsistent glänzende, scheinbar unverwüstliche Oberfläche bildet.
Kakao trank ich an diesem Tisch, meine Großmutter erzählte wie im Krieg Türen eingetreten und Menschen auf Dachböden erschossen worden waren, mein MacBook Pro stand hier drauf und diente als Werkzeug zur Herstellung einer Festschrift für meinen Vater, als er 50 wurde, im Jahr seines Ruins.


Das Reisekofferunternehmen Louis Vuitton soll Tische herstellen.