In dieser kurzen Abhandlung verfolge ich drei Ziele:
1) Zwischenmenschlichkeit – Howard Schultz’ Höflichkeitsregime, dem ich bereits hier einen Eintrag widmete, näher zu beschreiben.
2) Darstellung einer Art von Weltwahrnehmung und -erfahrung – wie einige Menschen alles nur aufgrund seiner Neuheit bewerten und lebensweltlich einordnen können.
3) Vorschlag zur Integration eines z.B. als »umweltschonend« PR-technisch ausbeutbaren architektonischen Elements in die Einrichtung einiger Starbucks-Filialen – um das unweigerlich kapitalistische Unternehmen Starbucks im Rahmen der Möglichkeiten in die Überlieferung statischer und langlebiger Architektur einzuspannen.
Einst ging ich in einen der drei Starbuckse in meiner Nähe und bestellte einen Kaffee.*
Die Starbucks-Barista, die ihre Kunden während der Geld-Kaffee-Transaktion in den bei Starbucks arbeitsverträglich vorgeschriebenen Smalltalk verwickeln muss, legte los: sie habe mich schon lange nicht mehr gesehen. Ich fühlte mich verpflichtet, Auskunft über mein Fernbleiben zu erteilen; ich sei in letzter Zeit oft im andern Starbucks gewesen.
Hier wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, sich auf die Abwicklung der Zahlung und die Zubereitung des Kaffees zu konzentrieren – vorausgesetzt, die Barista und ihr Kollege hätten geahnt, dass ich nichts mehr verabscheue, als Baristas, die ihr Handwerk nicht beherrschen und nur entweder schwätzen oder Kaffee machen können (nicht, wie gute Kellner, beides gleichzeitig), dem Schwätzen aber Vorrang einräumen und dann irgendwo beim Kassieren/Wechselgeld rausgeben/Maschinenknopfdrücken/Milchaufschäumen & -einschenken verheddern und ihre Verspätung dann mit einem alle bisherige Freundlichkeit krönenden »Sorry« oder »Buhaoyis’« (不好意思) sich zu entschuldigen versuchen – obwohl ich als Gast, dem Buchstaben der Starbucks-Richtlinien nach, der König bin, und weil meinem Einen Charakter eigentlich nur Ein angemessenes Verhalten Beschwichtigung bringen könnte: Abschalten der Starbucks-Musik, reuevolles Schweigen, und eine langsame, tiefe Verbeugung.
Zwischenmenschlichkeit ist entgegen dem Denken Herrn Schultz’ keine produktionstechnische Größe, bei der durch Optimierung eine Perfektion oder zumindest eine immer niedrigere Fehlerrate erreicht werden kann. Zumindest nicht mit Vorschriften. Vielleicht bin ich aber einfach ein Idiot und sollte dem Starbucks fernbleiben; diese Denkmöglichkeit werde ich schon nicht so schnell ausscheiden. Starbucks kennt ein spezielles Eingehen auf individuelle Kunden nur im Rahmen der jeweiligen Fähigkeit des Bediensteten.
Ein die 100%ige Zufriedenstellung der Kunden annähernd erreichen könnendes default-Serviceregime kann nur tradierte Handlungsweisen den Angestellten vorgeschreiben, von Kundenseite im Rahmen der Zufriedenheitskategorien eingefordert werden (Möglichkeit der Beschwerde in den online-Fragebögen mit Getränkecoupon).
Anders gesagt: ein zufriedenstellendes Serviceregime könnte auch von Robotern umgesetzt werden. Das ist ein Axiom, das es auch in 70 Jahren noch gelten wird, wenn Roboter mit der dortigen state-of-the-art künstlichen Intelligenz am Werke sind.
Shultz’ Ideal von einem »uplifting« Erlebnis jeder Kundin bei jedem Kaufakt kann nur anhand dieser Kategorien verfolgt, manageriell gelehrt, qualitätssicherungsmäßig überprüft werden: das Nennen des Namens des Kunden, Lächeln, das Zeigen des Willens, der Versuch zu kleiner Unterhaltung mehr als das Glücken einer (d.h. auch logisch sinnvollen) Konversation.
Der nächste Punkt ist die Weltwahrnehmung einiger Erdbewohner.
Wir sind dabei stehengeblieben, dass die Barista eben nicht auf den Kaffee sich konzentrierte und seine möglichst schnelle Zubereitung (das »fulfillment«) vorantrieb, sondern mir eine Frage stellte, die eine Antwort verlangte, nach der sie eine zweite Frage stellte, nämlich ob denn der besagte andere Starbucks näher bei meinem Zuhause liege als der hiesige (wohinter die Frage steckte: warum kamen Sie nicht zu uns? Liegt es an uns?), auf die ich dann mit der simplen Wahrheit rausrückte, dass die Tische dort höher seien. Ich verschwieg, dass die höheren Tische sich besser für mein gelegentliches Schreiben in der manchmal aufpeitschend wirkenden Musikumgebung des Starbucks eigneten, worauf sie mir nun nicht bloß eine neuerliche Frage stellte, sondern eine … Meinung äußerte! Das Design des dortigen Starbucks sei neuer, moderner, meinte sie!
Da unterbrach ich den sozialen Draht – denn kaffeemäßig sollte endlich was weitergehen und in unserem gemeinsamlich »shared« lebensweltlichen Sokrates-Moment tat sich auf einmal ein Graben auf, der nur schwer überbrückbar gewesen wäre:
ich hätte eine weitere Frage stellen müssen: was bedeutet deine Meinung? Meinst du, der Starbucks sei moderner und deshalb seien dort höhere Tische vorhanden? Sind höhere Tische in der Zeit zwischen Eröffnung deiner Starbucks-Filiale (ca. November 2013) und Eröffnung der anderen Filiale (ca. Jänner 2014) neu erfunden worden bzw. ihre Wellen im unruhigen Gewässer des Modemeers vom Wind des Zeitgeistgottes Poseidon wieder auf die höchste Höhe des Modepegels gepeitscht worden? Oder meinst du, das Mitbringen eines Laptops in ein Kaffeehaus sei eines der neuesten Phänomene, für das erst in den letzten Monaten eine Unterbringung gefunden habe, nämlich höhere Tischflächen?
– d.h. wir hätten vor dem Graben gestanden und uns zuerst einmal unterhalten müssen, ob wir überhaupt auf die andere Seite des Grabens wollen, ob wir ihn überbrücken oder ihn durchschreiten und hochklettern etc.
– Wir wählten die Option, das Gespräch fallenzulassen und unserer Wege zu gehen, dem Graben fernzubleiben.**
Bei mir war das Denken ja auch gerade in den für das Bloggerleben so wichtigen Blogeinfallmodus gefallen! Der Einfall, die vorläufige Zusammenfassung des Sinns des soeben Erlebten, des von Howard Schultz mir aufgedrängten Sozialerlebnisses, ging so:
Es gibt Menschen, die alles nur auf einer zeitlichen Linie erfahren – die annehmen, ein um ein paar Monate später eröffneter Starbucks müsste qua neueren Entstehungsdatums eine höhere und modischere evolutionäre Errungenschaft darstellen als seine älterer Bruder.
Also null Differenzierungsvermögen! Design-mäßige Ahnungslosigkeit!
Eine zweite, nämlich chinesische Komponente, wäre auch noch zu verfolgen. Ist es eine spezifisch chinesische Denkgewohnheit, Welt so einzuordnen, oder kann man getrost davon ausgehen, dass die gesamte Welt von vielen solchen Update-Materialisten bevölkert wird? Ich glaube schon. Das Problem in China ist nur, dass die Schwälle irgendeines opportun auszunutzenden Menschendenkens dort gerne zur Staats- und zur Volksreligion werden. Und da fallen dann mehr Bürger solchem einfältigen Denken anheim als von Natur her nötig wäre.
Dass in einer mehrheitlich von so empfindenden Gehirnen bevölkerten bzw. einparteienmäßig regierten Welt ein ressourcenschonender Umgang mit der Natur gepflegt wird – der unweigerlich eine Anerkennung alter Dinge, ein langfristiges Benutzen ihrer fordert – bezweifle ich.
Nun durfte ich meinen Kartonbecher in Empfang nehmen, und die nächste Idee bemächtigte sich meiner – und meine Abhandlung kann in den dritten Teil übergehen: Bauen, Wohnen, Denken in Starbucks.
Unbestritten: es stecken architektonische Philosophien und Leistungen im Starbucks.
Ich möchte der evolutionären Weiterentwicklung dieser Leistungen eine weitere Entwicklungsmöglichkeit anempfehlen.
Die Papp-Hülle ist bei Starbucks vom Kunden selber um den Becher zu stülpen. Es geht wohl darum, eine Tätigkeit, die nicht unbedingt vom Barista verrichtet werden muss und etwas zum Ziel hat, was nicht jeder Kunde unbedingt haben will, dem Kunden selber anzuvertrauen; und weil dadurch an Müll gespart werden kann – weil von 100 Kunden vielleicht nur 37 oder 57 oder 77 die Hülle verwenden –, ist es auch eine im Sinne des »Umweltschutzes« sinnvolle Maßnahme.
Ad adsurdum geführt wird sie aber, wenn Stammkunden, die jedes Mal eine Hülle verwenden, bei jedem Besuch eine neue Hülle aus dem Plastikspender ziehen, obwohl sie öfter verwendet werden könnte. In absurdo noch absurder wird die Sache, wenn eine Kundin die Hülle jedes Mal nach Abkühlen des Heißgetränks vom Becher nimmt, auf den Tisch legt, und jedes Mal darauf erblickt:
»Intended for single use only.«
– und somit vom mehrmaligen Gebrauch abgeraten wird.
Aber wozu, und weshalb, und wem vorgeschrieben?
Ist dies eine Vorschrift für die Bediensteten, die keine gebraucht im Lokal zurückgelassenen Hüllen aufsammeln und zurück in den Spender stecken sollen?
Oder gar eine Mahnung an Kunden, die Hülle nie wieder zu gebrauchen – wenn mit Gebrauch auch lediglich das Aufstülpen auf einen zum Zeitpunkt t2 erscheinenden neuen Becher heißen Kaffees gemeint ist (d.h. andere Gebräuche, z.B. das Verwenden im Bastelunterricht, nicht ausgeschlossen werden)?
Hat da wieder einmal ein spitzfindiger Advokat für seinen Mandanten Schadenersatz herausholen können, weil eine Hülle bei der zweiten Verwendung vor der Hitze nicht hat schützen können und ein anderer spitzfindiger »Gutachter« belegen hat können, dass das Pappmaterial beim zweiten Mal tatsächlich nichts mehr taugt? Oder gibt es einfach hygienische, bakteriologische Bedenken?
Angenommen die Gründe für einen einmaligen Gebrauch sind anfechtbar: dann mache ich diesen Vorschlag:
dem Starbucks fehlt ein Holzpaneel mit schönen Messinghäkchen, oder mit Nischen wie in einem Setzkasten, wo Schutzhüllen angehängt oder abgelegt werden können – für die Kunden, die oft im Starbucks ihr Getränk im Pappteller zu sich nehmen. Das Paneel wäre in sämtlichen Filialen innenarchitektonisch stimmig zu integrieren und müsste bei Neubauten eingeplant werden, es müsste in dem schöpferischen Guss enthalten sein, der so manche Starbucks-Filiale relativ gelungen macht.
Solche Paneele würden nicht nur ein Zeichen setzen, dass gespart wird, sondern eine Möglichkeit zur Tat etablieren: die Tat des Sparens!
Uns Kunden fehlt das Pflichtbewusstsein, dass wir diese Hüllen bei uns tragen und mehrere Male anwenden sollten. Aber es fände sich für so wunderbare Erfindungen der Textilevolution wie Brusttasche, Handtasche, Innentasche, sowie für die Handschuhfächer, Sonnenklappen und Seitenkonsolen unserer fahrenden Wohnstätten (Autos) eine neue Verwendung, wenn wir die Hüllen nicht gleich wegschmissen.
Leider bin ich noch nie jemandem über den Weg gelaufen, in der Wirklichkeit oder beim Lesen, der diese Gewohnheit hat. Ich glaube aber, es gibt ihn – und weitere Artgenossen. Und es gibt ihn ab heute auch in meinem Körper. Ich werde auch eiskalt die Starbuckshülle beim Costa Coffee verwenden und die Costahülle beim Starbucks. O und ich werde Fotos schießen und hashtags setzen, jaja!
Unterstützt gehört die Initiative von den Kaffeehäusern.
Also Starbucks überleg dir was, am besten mach Paneele wie ich sie dir entworfen habe.
Das Paneel für die Papphüllen könnte das Info-Paneel ersetzen, das in manchen Starbucks-Filialen bei der Ausgabe hängt. Zur Zeit hänge ich dort in der Sincere Garden Starbucks-Filiale mit einem Foto: ich, der geschätzte Gast, namentlich 柯先生 [Ke xiansheng: Herr Ke].
Ich geniere mich dafür und bekomme Schweißausbrüche, wenn ich mir vorstelle, wie chinesische Kunden das Foto sehen und denken, der Ausländer hat auch nichts besseres zu tun als dauernd zum Starbucks zu gehen.
Dagegen wäre ich geradezu glücklich, wenn ich bei jedem Einkehren in den Starbucks meine Papphülle vom Haken nehmen könnte, unter dem steht: Herr Ke – und in meiner Abwesenheit andere Kunden neidisch, ehrfurchtsvoll, neugierig rätseln, oder einfach zur Kenntnis nehmen könnten, dass hier jemand ein Wegwerfprodukt mehr als einmal benutzt, und ihm hierfür ein besonderer Platz zugewiesen wird.
* Note: I am a citizen of Austria and would never go to a Starbucks coffeeshop in my native country, bar some friend’s or business partner’s inevitable or unalterable suggestion to meet there. Conclude from that that I went to a Starbucks store outside of Austria when I experienced the above-described. And exclude from your reasoning where I might have graced a Starbucks store with my hunchbacked presence any place where some »original« or »re-invented« »local« »coffee culture« exists. Do realize while reading my little article that I talk about Starbucks in China; more exactly, Starbucks Jiang Zhe Hu.
** Das Bild wäre – z.B. im Rahmen eines fantastischen Romans oder absurden Theaterstücks oder Films – weiterzuentwickeln: die Barista geht hinunter zu den anderen Schattenwesen in ihre klägliche, im weitesten Sinne J.P. Sartresche Kellner-Existenz, ich Zarathustra aber hinauf auf einen Gipfel, wohin ein Expresskurier mir den Kaffee nachbringen sollte.
Danach müsste dieser suprematistische Entwurf ironisiert werden, indem von meinem Gipfel weggezoomt wird, und allmählich eine von lauter kleinen Gipfeln gesäumte Landschaft erkennbar wird – z.T. nicht einmal aus Stein, sondern provisorisch hergerichtet, manche Möchtegern-Zarathustras auf geradezu irrwitzen Möchtegern-Gipfeln wie aufeinandergestapelten Bierkisten! Ein Film über eine Gesellschaft, in der sehr viele Menschen sich eine Art Elfenbeinturm bauen, wo sie – sich zum Denken zurückziehen bzw. »Zeit für sich selber« verbringen.