Aus Frust über das Motto Chinesischer Traum und wie es die Sprache einiger chinesischen Publizisten und braver Bürger durchzieht brach ich mein Schweigen auf WeChat und schrieb folgenden Begriff in meinen öffentlichen Stream: 梦想化
文化 Wort + huà, die Gestaltung des Wortes = Kultur;
城市化 Stadt + huà = ist der chinesische Begriff für Urbanisierung;
绿化 Grün + huà = was im Englischen Green, Going Green, Green Revolution etc. genannt wird, aber auch ganz einfach Vergrünerung (einer Stadt durch Blumen) oder Aufforstung.
化学 huà + lernen = das Studium der Verwandlung = die Wissenschaft Chemie.
In der chinesischen Öffentlichkeit und in ihren touristischen und journalistischen fotographischen Abbildungen sieht der westliche Beobachter nun immer diesen vom Parteivorsitzenden Xi Jinping angesprochenen chinesischen Traum an Wände gemalt oder auf Plakaten prangend, er generiert Oberflächenwissen, er tut es in seiner geistigen Ablage in die Rubrik Verblendungszusammenhang oder zum Patriotismus, und hofft, das chinesische System werde zusammenbrechen.
2) Auf WeChat erntete ich für mein hoffentlich ganz lakonisch rüberkommendes 梦想化 von einem Bekannten prompt ein »Like« (»赞/zàn/Lob« genannt, symbolisch nicht durch einen Daumen oder ein + ausgedrückt, sondern durch ein Herz) und den Kommentar »呵呵/hehe«. Es gibt also eine Klasse von Menschen, die dieser ironische Brechung in die Schrift bringen, sie ausdrücken, lesen können.
Nähern wir uns dem Begriff mit bloßen Hinweisen auf seine Bedeutung.
化 huà heißt Wesensverwandlung oder -hervorbringung;
城市化 Stadt + huà = ist der chinesische Begriff für Urbanisierung;
绿化 Grün + huà = was im Englischen Green, Going Green, Green Revolution etc. genannt wird, aber auch ganz einfach Vergrünerung (einer Stadt durch Blumen) oder Aufforstung.
化学 huà + lernen = das Studium der Verwandlung = die Wissenschaft Chemie.
Vielleicht heißt 梦想化 (von dem ich hoffe, dass vor mir noch kein Mensch es geprägt hat) also Verträumerung; es steht irgendwo in der Nachbarschaft des Begriffs Verblendung, soll aber nicht so soziologiestudentenhaft-schnellklug aus dem Nachhinein Horkheimadornos, wikipedia-Weisheitsquickie-haft, und old-school-imperialistisch aus dem Westen auf China übertragen werden, sondern aus China heraus gedacht sein, also aus meinem Kopf, der an einem trüben Sonntagnachmittag vor einer Stahlgerüstbühne steht, den Bewerbern eines Bandcontests zuhört, und bei jedem Auftreten der Moderatorin des lokalen Radiosenders intellektuellen Ausschlag bekommt.
»Welchen Traum hast du?«, fragt sie in völliger Ignoranz der soeben vollbrachten Tat des Gesungenhabens. Neben den naiven bis verlegenen bis verwirrten Antworten der Teilnehmer war darauf die einzige witzige Antwort die eines 12-jährigen Teilnehmers, der mit seinen Mitschülern ganz schön gerockt hatte. »Ich möchte einmal ein richtiger (正式的, zhèngshì de, offizieller) Sänger sein, im Fernsehen, nicht so auf einem Platz wie hier.«
In der chinesischen Öffentlichkeit und in ihren touristischen und journalistischen fotographischen Abbildungen sieht der westliche Beobachter nun immer diesen vom Parteivorsitzenden Xi Jinping angesprochenen chinesischen Traum an Wände gemalt oder auf Plakaten prangend, er generiert Oberflächenwissen, er tut es in seiner geistigen Ablage in die Rubrik Verblendungszusammenhang oder zum Patriotismus, und hofft, das chinesische System werde zusammenbrechen.
Gleichzeitig stellt jeder halbwegs interessierte Zeitgenosse dem »Chinakenner« die Frage, wie das Volk in der Diktatur so lebe. Darin liegt in Ansätzen die Frage nach den Meinungen zum Volkstraum. In meiner Erfahrung lassen sich viele Chinesen von dem Traumwesen nicht erfassen und ich halte die zwei kostbaren Begegnungen hier fest, die mir dies vor Augen führten.
1) Beim Einkauf eines Nuss-Schraubenschlüssels ließ der Verkäufer im Werkzeuggeschäft sich beim Suchen allzu lange Zeit und ich prustete und sagte nach mustergültiger chinesischer Art: schneller bisschen! Der Chef des Ladens kam herbei mich zu beschwichtigen, mit Lächeln und den Worten, [das sei] »der chinesische Traum, immer am Träumen, hihi«. In dieser Auslegung ist mir der chinesische Traum erst sympathisch, nämlich nicht als braver Vollzug der Vorgabe des Herrschers Xi Jinping und der geschichtsphilosophischen Sendung des erstarkenden chinesischen Volkes, sondern als ironische Brechung. Genauso kann der Begriff aber seine Wucht unangenehm entfalten: mach mir keinen Stress Mann, wir sind hier am Träumen!
2) Auf WeChat erntete ich für mein hoffentlich ganz lakonisch rüberkommendes 梦想化 von einem Bekannten prompt ein »Like« (»赞/zàn/Lob« genannt, symbolisch nicht durch einen Daumen oder ein + ausgedrückt, sondern durch ein Herz) und den Kommentar »呵呵/hehe«. Es gibt also eine Klasse von Menschen, die dieser ironische Brechung in die Schrift bringen, sie ausdrücken, lesen können.