Zum Jahresende schau ich durch all meine nicht geposteten Blogeinträge, traurig darüber, dass ich keine Zeit hatte, sie fertig zu machen.
Der folgende Eintrag, vom 3. Oktober 2011, ist fertig – warum habe ich ihn nicht gepostet? Weil er bloß ein aus dem Glanzmagazin 1st abgetipptes Gespräch mit einer jungen Politikerin ist. Das einzige Interessante daran: die Politikerin erzählt, sie sei in der Schule schlecht gewesen.
Es handelt sich um Laura Rudas. Das Gespräch steht in der Märzausgabe 2009 und ist so weit ich weiß nirgendwo im Web verfügbar. Daher das Abtippen.
»Jemals länger als sechs Monate nicht in Österreich gelebt?
Nein, leider. So ein Auslandssemester halte ich für extrem wichtig. Da ich aber mit 22 in den Wiener Landtag gekommen bin, war es nicht möglich. Sonst hätte ich ein, zwei Semester im Ausland studiert. Vielleicht ergibt sich das noch.
Wo wären Sie gerne hingegangen?
Nach Bologna, um ein Semester Politikwissenschaft zu studieren.
Sie sind antiautoritär erzogen?
Ja, nur mein Bruder war das nie. Der sagt heute noch: Ruf an, wenn du zuhause angekommen bist!
Sie waren Klassensprecherin?
Da ich in der Schule eine Katastrophe war, wäre sich das nicht ausgegangen. Bei uns waren eher die mit den guten Noten die Klassensprecher. Außerdem war ich damals zu cool dafür.
Die Kernthese Ihrer Diplomarbeit in einem Satz?
Unser Schulsystem dient nicht dem Emanzipationsprozess; es hilft also nicht dabei, dass jemand aus seiner sozialen Schicht aufsteigen kann. Ganz das Gegenteil, das Schulsystem reproduziert soziale Benachteiligungen.«
31.12.2011
03.11.2011
Neues und Altes aus dem Kreis der Nachtdenker
Wiedergabe von Nino Mandls Wort "Nachtenergie" aus diesem Gespräch im Falter:
"Selbst wenn ich müde bin, bleibe ich wach, weil die Nacht komische neue Energien in mir freisetzt.
Was sind das für Energien?
Mandl: Es gibt zwei verschiedene Arten von Nachtenergie. Eine, wenn man alleine ist, und eine andere, wenn man sich unter Menschen befindet. Die erste kann man nutzen, um kreativ zu sein. Die andere kann man auch nutzen, aber nicht um etwas zu schaffen, sondern um etwas unterbewusst vorzubereiten, das man dann alleine umsetzt."
Robert Musil, Notiz im Jahr 1898: "Ich liebe die Nacht, weil sie schleierlos ist, bei Tage werden die Nerven dahin und dorthin gezerrt bis zum Erblinden, aber die Nacht ist es, in der gewisse Raubtiere mit gewissen würgenden Griffen sich einem um den Hals legen, wo sich das Leben der Nerven aus der Betäubung des Tages erholt und nach innen entfaltet, wo man eine neue Empfindung von sich selbst bekommt wie wenn man plötzlich mit einer Kerze in der Hand in einem dunklen Zimmer vor einen Spiegel tritt, der tagelang keinen Lichtstrahl empfangen hat, gierig aufsaugend einem nun das eigene Gesicht entgegenhält.
Gewisse Raubtiere mit gewissen würgenden Griffen! Es gibt Könige, die Panther vor ihren Wagen gespannt hatten, und ihre höchste Lust kann es gewesen sein, in der Möglichkeit zu schweben, zerrissen zu werden."
Aber ist der Zutritt zur Nacht unumschränkt?
Franz Kafka, Notiz im Jahr 1915: "Die fortwährenden Versuche, durch viel Schlaf am Nachmittag die Fortsetzung der Arbeit bis tief in die Nacht zu ermöglichen, waren sinnlos, denn ich konnte doch schon nach den ersten vierzehn Tagen sehn, daß es mir meine Nerven nicht erlauben, nach ein Uhr schlafen zu gehn, denn dann schlafe ich überhaupt nicht mehr ein, der nächste Tag ist unerträglich, und ich zerstöre mich. Ich bin also nachmittags zu lange gelegen, habe in der Nacht aber selten über ein Uhr gearbeitet, immer aber frühestens gegen elf Uhr angefangen. Das war falsch. Ich muß um acht oder neun Uhr anfangen, die Nacht ist gewiß die beste Zeit (Urlaub!), aber sie ist mir unzugänglich."
"Selbst wenn ich müde bin, bleibe ich wach, weil die Nacht komische neue Energien in mir freisetzt.
Was sind das für Energien?
Mandl: Es gibt zwei verschiedene Arten von Nachtenergie. Eine, wenn man alleine ist, und eine andere, wenn man sich unter Menschen befindet. Die erste kann man nutzen, um kreativ zu sein. Die andere kann man auch nutzen, aber nicht um etwas zu schaffen, sondern um etwas unterbewusst vorzubereiten, das man dann alleine umsetzt."
Robert Musil, Notiz im Jahr 1898: "Ich liebe die Nacht, weil sie schleierlos ist, bei Tage werden die Nerven dahin und dorthin gezerrt bis zum Erblinden, aber die Nacht ist es, in der gewisse Raubtiere mit gewissen würgenden Griffen sich einem um den Hals legen, wo sich das Leben der Nerven aus der Betäubung des Tages erholt und nach innen entfaltet, wo man eine neue Empfindung von sich selbst bekommt wie wenn man plötzlich mit einer Kerze in der Hand in einem dunklen Zimmer vor einen Spiegel tritt, der tagelang keinen Lichtstrahl empfangen hat, gierig aufsaugend einem nun das eigene Gesicht entgegenhält.
Gewisse Raubtiere mit gewissen würgenden Griffen! Es gibt Könige, die Panther vor ihren Wagen gespannt hatten, und ihre höchste Lust kann es gewesen sein, in der Möglichkeit zu schweben, zerrissen zu werden."
Aber ist der Zutritt zur Nacht unumschränkt?
Franz Kafka, Notiz im Jahr 1915: "Die fortwährenden Versuche, durch viel Schlaf am Nachmittag die Fortsetzung der Arbeit bis tief in die Nacht zu ermöglichen, waren sinnlos, denn ich konnte doch schon nach den ersten vierzehn Tagen sehn, daß es mir meine Nerven nicht erlauben, nach ein Uhr schlafen zu gehn, denn dann schlafe ich überhaupt nicht mehr ein, der nächste Tag ist unerträglich, und ich zerstöre mich. Ich bin also nachmittags zu lange gelegen, habe in der Nacht aber selten über ein Uhr gearbeitet, immer aber frühestens gegen elf Uhr angefangen. Das war falsch. Ich muß um acht oder neun Uhr anfangen, die Nacht ist gewiß die beste Zeit (Urlaub!), aber sie ist mir unzugänglich."
11.10.2011
Eastern Walking
In China habe ich kein einziges Mal Fußgänger mit Schistöcken gesehen. Wer seine Arme und Hände beschäftigen will -- einer der Gründe, nordic walking zu betreiben --, klopft sich während des Gehens mit der Faust auf die Schulter, und zwar rechte Faust links hinauf, linke nach rechts. Abänderungen dieser Bewegung sind auch zu sehen, oder überhaupt ganz andere zusätzliche Bewegungen: spontane Äußerungen des Körpers.
17.09.2011
Horrormeldung des Tages
Man möchte die Wiener Mariahilferstraße "beruhigen" und die Autos von ihr verbannen. Das wird ein toller Kindergarten.
Mein Badezimmer in Nanjing
Der geschichtsphilosophischen Marketingstory zufolge steht dem Badezimmer eine Umwandlung bevor: die Erweiterung der "Nasszelle" in einen "Wohlfühlraum", nachdem ein ähnliches "Upgrading" bei den Küchen bereits durchgeführt worden ist.
Stufenlos begehbare Duschen eliminieren das beklemmende Gefühl, man begebe sich in eine Kammer-im-Raum (und sind für alte Menschen bequem), großflächige Fliesen ersetzen die vielen spießigen kleinen und verleihen römischen Villencharakter. Die Musikanlage wird diesmal schon beim Planen bedacht (Karajan hätte das befürwortet), und Fenster muss es geben, damit gutes Licht hereinkomme und man gerne hier verweilt.
Der Handtuchvermarkter, der mir neulich davon erzählte und fleißig mit ästhetisch ansprechender Werbung an dem Trend mitarbeitet, öffnete mir die Augen. Ich wusste plötzlich: In meinem chinesischen Leben (halbes Jahr lang) war ich heuer voll im Trend! Das Badezimmer meiner Nanjinger Wohnung war ein solcher Wohlfühlraum.
In der Tür ist, ganz chinesischer Stil, eine Glasscheibe, die zwar durch ein Muster nur einen verschwommenen Blick von der Diele ins Badezimmer zulässt, mir aber zunächst unangenehm war. Man will nicht gesehen werden, wenn man auf dem Klo hockt. Aber man findet sich damit ab und wird gelassen.
Dieses Wasserklosett hängt gleich nach dem Eingang und erledigt seine Funktionen ordentlich (keine oder lediglich eine statistisch notwendige Anzahl jener Komplikationen, vor denen westliche Reiseliteratur warnt). Beim Sitzen bleibt noch ein kleiner Freiraum zwischen meinen Knien und der gegenüberliegenden Wand.
Über dem WC sind Stangen zum Aufhängen von Handtüchern angebracht, weiter vorne ein Waschbecken und ein Spiegel. Davon gegenüber der fixier- und abnehmbare Duschkopf und darüber, ein seltsamer Pfusch, halb sichtbar, halb in einer Zwischendecke verstaut, der Boiler. Im uneinsehbaren Raum in der Zwischendecke nisten kleine Vögel, die natürlich schon wach sind in der früh. Ich vermisse sie, würde sie jedoch gegen die angesprochenen eingebauten Musikboxen austauschen, wenn ich mir ein Badezimmer neu einrichte.
Die Höhe des Waschbeckens passt für kleine Menschen; mich hat sie abwechselnd belustigt, zum Seufzen gebracht, oder dazu verleitet, hineinzupissen. Aber das war ein mühelos zurückhaltbarer Anreiz. Erst während eines Aufenthalts in einem Gästehaus in Hongkong, bei ähnlichen Verhältnissen, tat ich es - und danach nicht mehr wieder.
Auch das Fenster liegt niedrig; mein Spatzi kann rausschauen. Daher schließe ich das Fenster beim Duschen. Beim Zähneputzen mache ich es wieder auf, um den Tag mustern und die Temperatur bestimmen zu können.
Im Winter sind mir die vier seltsamen Riesenglühbirnen in der Mitte der Decke ein Labsal gewesen. Sie wärmen den Rücken. Ähnliche Lampen sollten in jedem Badezimmer zum Einsatz kommen (infrarot etc., am besten mehrere "Stimmungen" wählbar).
Alles ist gefliest. In der Fensternische stehen Tuben mit Waschzeugs, macht nichts, das Fenster geht nach außen auf.
Ich kann mich gut bewegen, z.B. pseudogymnastische Bewegungen machen oder einen Mitduscher eincremen.
Oben aufgehängt, spritzt der Duschkopf den ganzen Raum voll. Das Klopapier muss man schützen. Ansonsten kein Problem. Alles rinnt in den Abfluss neben dem Waschbecken.
Der Zeitpunkt des Trocknens ist individuell bestimmbar. Man wird nicht mehr wie beim Übersteigen einer Duschkabinenschwelle daran erinnert, unbedingt jetzt sich abtrocknen zu müssen. Ich habe das Wasser immer von selber abtropfen lassen und erst nach dem Zähneputzen zum Handtuch gegriffen. Das erinnert mich an eine meiner Schwestern und eine ehemalige Schulkollegin - sie sagen sie putzen in der Dusche die Zähne. Ich mag das nicht, da ich den Zahnpasta-Mundsud einzig und allein dem Waschbecken übergeben möchte und nicht dem Duschabfluss. Von den unerfüllbaren Anforderungen des multi taskings abgesehen.
Weil der ganze Raum zirka drei Quadratmeter groß ist, glaube ich, dass das neue Ideal unabhängig von der Raumgröße umzusetzen ist. Wer auch immer Produkte für das Badezimmer herstellt: In der Werbung kann man ruhig, sofern die Grundlagen stimmen, winzige Badezimmer darstellen. Damit hätte man sogar zwei Trends in Einen überführt.
Stufenlos begehbare Duschen eliminieren das beklemmende Gefühl, man begebe sich in eine Kammer-im-Raum (und sind für alte Menschen bequem), großflächige Fliesen ersetzen die vielen spießigen kleinen und verleihen römischen Villencharakter. Die Musikanlage wird diesmal schon beim Planen bedacht (Karajan hätte das befürwortet), und Fenster muss es geben, damit gutes Licht hereinkomme und man gerne hier verweilt.
Der Handtuchvermarkter, der mir neulich davon erzählte und fleißig mit ästhetisch ansprechender Werbung an dem Trend mitarbeitet, öffnete mir die Augen. Ich wusste plötzlich: In meinem chinesischen Leben (halbes Jahr lang) war ich heuer voll im Trend! Das Badezimmer meiner Nanjinger Wohnung war ein solcher Wohlfühlraum.
In der Tür ist, ganz chinesischer Stil, eine Glasscheibe, die zwar durch ein Muster nur einen verschwommenen Blick von der Diele ins Badezimmer zulässt, mir aber zunächst unangenehm war. Man will nicht gesehen werden, wenn man auf dem Klo hockt. Aber man findet sich damit ab und wird gelassen.
Dieses Wasserklosett hängt gleich nach dem Eingang und erledigt seine Funktionen ordentlich (keine oder lediglich eine statistisch notwendige Anzahl jener Komplikationen, vor denen westliche Reiseliteratur warnt). Beim Sitzen bleibt noch ein kleiner Freiraum zwischen meinen Knien und der gegenüberliegenden Wand.
Über dem WC sind Stangen zum Aufhängen von Handtüchern angebracht, weiter vorne ein Waschbecken und ein Spiegel. Davon gegenüber der fixier- und abnehmbare Duschkopf und darüber, ein seltsamer Pfusch, halb sichtbar, halb in einer Zwischendecke verstaut, der Boiler. Im uneinsehbaren Raum in der Zwischendecke nisten kleine Vögel, die natürlich schon wach sind in der früh. Ich vermisse sie, würde sie jedoch gegen die angesprochenen eingebauten Musikboxen austauschen, wenn ich mir ein Badezimmer neu einrichte.
Die Höhe des Waschbeckens passt für kleine Menschen; mich hat sie abwechselnd belustigt, zum Seufzen gebracht, oder dazu verleitet, hineinzupissen. Aber das war ein mühelos zurückhaltbarer Anreiz. Erst während eines Aufenthalts in einem Gästehaus in Hongkong, bei ähnlichen Verhältnissen, tat ich es - und danach nicht mehr wieder.
Auch das Fenster liegt niedrig; mein Spatzi kann rausschauen. Daher schließe ich das Fenster beim Duschen. Beim Zähneputzen mache ich es wieder auf, um den Tag mustern und die Temperatur bestimmen zu können.
Im Winter sind mir die vier seltsamen Riesenglühbirnen in der Mitte der Decke ein Labsal gewesen. Sie wärmen den Rücken. Ähnliche Lampen sollten in jedem Badezimmer zum Einsatz kommen (infrarot etc., am besten mehrere "Stimmungen" wählbar).
Alles ist gefliest. In der Fensternische stehen Tuben mit Waschzeugs, macht nichts, das Fenster geht nach außen auf.
Ich kann mich gut bewegen, z.B. pseudogymnastische Bewegungen machen oder einen Mitduscher eincremen.
Oben aufgehängt, spritzt der Duschkopf den ganzen Raum voll. Das Klopapier muss man schützen. Ansonsten kein Problem. Alles rinnt in den Abfluss neben dem Waschbecken.
Der Zeitpunkt des Trocknens ist individuell bestimmbar. Man wird nicht mehr wie beim Übersteigen einer Duschkabinenschwelle daran erinnert, unbedingt jetzt sich abtrocknen zu müssen. Ich habe das Wasser immer von selber abtropfen lassen und erst nach dem Zähneputzen zum Handtuch gegriffen. Das erinnert mich an eine meiner Schwestern und eine ehemalige Schulkollegin - sie sagen sie putzen in der Dusche die Zähne. Ich mag das nicht, da ich den Zahnpasta-Mundsud einzig und allein dem Waschbecken übergeben möchte und nicht dem Duschabfluss. Von den unerfüllbaren Anforderungen des multi taskings abgesehen.
Weil der ganze Raum zirka drei Quadratmeter groß ist, glaube ich, dass das neue Ideal unabhängig von der Raumgröße umzusetzen ist. Wer auch immer Produkte für das Badezimmer herstellt: In der Werbung kann man ruhig, sofern die Grundlagen stimmen, winzige Badezimmer darstellen. Damit hätte man sogar zwei Trends in Einen überführt.
23.08.2011
Die Welt in Schneideütensilien
Wien ist ein Taschenmesser. Hongkong ist ein Buschmesser. Prato ist eine Schneiderschere. Lenzing ist ein Holzhäcksler.
16.08.2011
Reindustrialisierung Europas
Wär doch schön. Billige Arbeitskräfte genügend vorhanden, z.B. aus Spanien und Großbritannien. Man muss die Spanier nur in Mittagspausen Joga machen lassen, in den Fabriken laut Musik aufdrehen, abends Livebands, kostenlose Wohnungen.
11.08.2011
Mythologie der Scheiße
1. Vorwort
2. Der Mahnkacker
1.
Es wird soo viel über die Analversessenheit »der Deutschen« geredet! In Vanity Fair ein grandioses Geschwafel zum deutschen Verhalten in der Schuldenkrise: erfreut dem Dreck zusehen, aber unbefleckt. Der Linguist Hans Martin Gauger erforscht das deutsche Schimpfen: exkrementell statt sexuell. Und Charlotte Roche legt ihren neuen Roman mit einer Stelle über Stuhlwürmer vor, mit der sie zeigt, dass »sie sich im Analthema weiterhin von niemandem etwas vormachen lassen will.«
Was ich gut finde! Man flüchtet sich manchmal gerne hinter die Klischees seines Volkes. Nach der Logik: Deutsche »gründlich« – ungründlicher Deutscher möchte auch so sein und bezeichnet sich eifriger als Deutscher, als er müsste.
Klischees sind Charakterisierungen der witzigsten oder übelsten Typen eines Landes. Die Analversessenheit der Deutschen könnte man als Facette ihres über scheinbar uninteressante Dinge produktiv brütendes Wesen sehen, das die interessanten Bücher Kants, Schellings, Fichtes hervorgebracht hat (und Heideggers).
Daher, aus Traditionsbewusstsein, mache ich mich für das Analklischee stark, und freue mich diebisch über die kräftigen Lebenszeichen des deutschen Scheißeweltgeistes. Wir sitzen auf einem Alleinstellungsmerkmal und werden doch nicht leichtfertig drauf scheißen.
Denn nationale Klischeedenkfiguren haben es heutzutage immer schwerer, sich unter der irrwitzigen Neustruktierung, dem Hyper-Perspektivismus der Algorhitmen und der vorherrschenden Dekonstrukion allgemeiner Aussagen in Kommentaren und Foren als Mainstreampositionen zu behaupten.
Irgendwann kommen sie dann in Form einer kompensierenden Überanstrengung zu Tage. Slavoj Zizek hat einmal gesagt (in der Weltwoche), dass das Zusammenleben der Völker im ehemaligen Jugoslawien so lange funktioniert hat, wie sie einander in derben Witzen verarschten.
Lang leben Völkerklischees, lang lebe Verarschung! Ich rufe Frau Roche ein lautes »Bravo!« zu (und gratuliere ihr zu ihrer »Entpuppung als großartige Autorin«, wie es in der taz heißt), und stelle einen kleinen Beitrag aus meinem geheimen Ekeljournal, »Grindige Einfälle«, der weltweiten Gemeinschaft der an »Deutschem« Interessierten zur Verfügung.
2.
In Berlin suchte man des liegen gelassenen Hundekots auf den Straßen Herr zu werden und schrieb einen Wettbewerb für Hundehalter-Erziehungsplakate aus. Aus den Einsendungen zu demselben konnte allerdings eine zerstrittene Jury keinen klaren Sieger hervorloben, und sich nur auf die Affichierung einer harmlosen Moralplatitüde einigen. Aber diese wirkte nicht – und der Kot blieb liegen.
Ein redlicher Citoyen war darüber dergestalt in seiner Hoffnung an die Besserung seiner Mitmenschen enttäuscht, dass er, eines Nachmittags, sich aufmachte, einen Hundehälter zu disziplinieren.
Als er nach einer Stunde eifrigen Herumgehens und -spähens eine 50-jährige, silberne Ohrringe und Halsketten tragende Frau sah, die ihren Beagle sich entledigen ließ, aber keine Anstalten machte, den Abfall zu entsorgen, und sich in Richtung des erbosten Rächers bewegte, und, aber ohne Scham, an ihm vorbeizugehen vorhatte, öffnete dieser seine Hose, kniete nieder, und schiss zwei Knödel ab, gefolgt von einem kleinen Würstchen, das er diesen wie ein Spitzhäubchen aufzusetzen durch eine kreisende Bewegung seiner Hüften vermögend war. – Dies sprach sich herum, und nach einigen Tagen verzeichnete das Statistikamt der Stadt eine geringere Kotbelastung auf den Straßen.
(– aus hündischem Ursprung; jene der Menschen war gestiegen, da sich »fanatische Anhänger eingefunden hatten«.)
10.08.2011
Radeln, gehen, Ubahn fahren
»I was physically and metaphorically in the dark about what was happening above ground.«
Nette Lebenserfahrungsgeschichte aus Peking. Bonuspunkte für die Vermeidung des Wortes »literally« in zitiertem Satz.
Nette Lebenserfahrungsgeschichte aus Peking. Bonuspunkte für die Vermeidung des Wortes »literally« in zitiertem Satz.
09.08.2011
China als hot pot
Ich wette dagegen, dass ein großer Teil der Chinesen bald gut englisch sprechen können wird. In absoluten Zahlen werden es zwar Viele sein und man wird in immer mehr Städten immer problemloser vorankommen. Aber »der durchschnittliche Chinese«, analog zum bisherigen Klischee vom durchschnittlichen, fetten Amerikaner gedacht, wird sich ein gutes Englisch ersparen können.
Einer der Gründe hierfür könnte sein: China entwickelt sich zum »melting pot« unseres Jahrhunderts (zweites Klischee!) und zieht, nach dreißig Jahren heftiger Kapitalinvestitionen, Schwärme von Ausländern an.
Ich verfüge natürlich nur über Zeitungs- und anekdotisches Wissen zu diesem Thema. Das Zeitungswissen wäre auf einen Artikel Evan Osnos' im New Yorker über eine riesige afrikanische Community irgendwo in Südchina sowie auf gelegentliche Erwähnungen der »huge expat community in China« zurückzuführen; das anekdotische mehrt sich Woche für Woche, wenn ich hier in Nanjing wieder einen Amerikaner kennen lerne, der mir erklärt, man könne in den Staaten kein Geld mehr maken. Oder die amerikanisch-mexikanische Studentin Brenda, die neulich in tiefer Melancholie zurück ins beschauliche Colorado geflogen ist (das sie »satt« habe), nachdem sie ein Jahr lang in einem Kindergarten Englisch unterrichtet hatte.
Der Unterschied zum amerikanischen melting pot wäre der höhere Schmelzpunkt. Das Erlernen der Sprache ist schwieriger, man kann aber nicht, wie ein mittelmäßig sprechender Latino in den USA, auf halbem Wege stehen bleiben. Die vielen Chinesischlerner, die es nicht »bis zum bitteren Ende«, bis zum »chinesisch werden« schaffen, werden Fremde bleiben. Übrigens: melting pot ist der falsche Begriff, sagen wir »hot pot«.
Die Fremden werden irgendwann einmal wieder heftigen chinesischen Ressentiments ausgesetzt sein. Zu heiß wird es im hot pot nicht, aber vollgestopft mit zu vielen Zutaten. Die nächste Wette ist dann, ob sprachlich integrierte Ausländer ebenfalls betroffen sein werden oder ob die Mehrheitschinesen, das Han-Volk, rassistisch vorgehen und auch diese vor den Kopf stoßen werden.
Ich verfüge natürlich nur über Zeitungs- und anekdotisches Wissen zu diesem Thema. Das Zeitungswissen wäre auf einen Artikel Evan Osnos' im New Yorker über eine riesige afrikanische Community irgendwo in Südchina sowie auf gelegentliche Erwähnungen der »huge expat community in China« zurückzuführen; das anekdotische mehrt sich Woche für Woche, wenn ich hier in Nanjing wieder einen Amerikaner kennen lerne, der mir erklärt, man könne in den Staaten kein Geld mehr maken. Oder die amerikanisch-mexikanische Studentin Brenda, die neulich in tiefer Melancholie zurück ins beschauliche Colorado geflogen ist (das sie »satt« habe), nachdem sie ein Jahr lang in einem Kindergarten Englisch unterrichtet hatte.
Der Unterschied zum amerikanischen melting pot wäre der höhere Schmelzpunkt. Das Erlernen der Sprache ist schwieriger, man kann aber nicht, wie ein mittelmäßig sprechender Latino in den USA, auf halbem Wege stehen bleiben. Die vielen Chinesischlerner, die es nicht »bis zum bitteren Ende«, bis zum »chinesisch werden« schaffen, werden Fremde bleiben. Übrigens: melting pot ist der falsche Begriff, sagen wir »hot pot«.
Die Fremden werden irgendwann einmal wieder heftigen chinesischen Ressentiments ausgesetzt sein. Zu heiß wird es im hot pot nicht, aber vollgestopft mit zu vielen Zutaten. Die nächste Wette ist dann, ob sprachlich integrierte Ausländer ebenfalls betroffen sein werden oder ob die Mehrheitschinesen, das Han-Volk, rassistisch vorgehen und auch diese vor den Kopf stoßen werden.
02.08.2011
»Pittoreskes Touristenlabsal«
– das ist Österreich. Jede Erinnerung an die neben Preußen einzige frühere deutsche Großmacht ist in diesem kleinen Land erloschen. Und in Deutschland sind Machtausübung und Wählerstimmung weiter von (»radikalem«!) Pazifismus und Provinzialismus geprägt (Ausnahme Thomas de Maizière) – da man nie über ein Empire verfügte und sich, anders als die Engländer, nicht im parlamentarischen Regieren eines weltumspannenden Netzes üben konnte und man statt Weltmannswesen wie die Briten zu entwickeln bis heute das Erbe von Kants Moralphilosophie pflegt –
siehe neuen Essay Karl Heinz Bohrers, hier ins Englische übersetzt.
siehe neuen Essay Karl Heinz Bohrers, hier ins Englische übersetzt.
01.08.2011
Verborgenes Denken
Hier behauptet wer, dass die allgegenwärtig gewordene Knopfdruck-Zustimmung (like, +1 etc.) zu mehr Konformismus führe. Man versuche nicht, eigenständig Gedachtes auszudrücken, sondern zustimmungswürdige Häppchen zu liefern, deren einziges Bewertungskriterium die Liebenswürdigkeit ist, quantifiziert durch erhobene Daumen. Wer für ein Posting kein Lob erntet, werde so blamiert wie ein Witzerzähler ohne Lacher.
Ein interessanter Beitrag für eine Sammlung phänomenologischer Befunde zum Silikonzeitalter. Hans Ulrich Gumbrecht hat neulich geschrieben, dieses zeichne sich durch ein körperloses Denken aus, das rein spirituell bestehe und beliebig abrufbar ist, anstatt an die Zeiten von Körpern und Räumen gebunden zu sein und, füge ich spekulierend hinzu, sich auf einmal, unerwartet, irgendwo (an einem »wirklichen« Ort), rein aus einem Hirn heraus statt zusammenkuratiert, entfalten könnte.
Man muss sich nicht mehr ausdrücken. Was man während eines Knopfdrucks denkt, bleibt im Hirn des Zustimmers verborgen; der Vorgang der Überlegung wird nicht beschrieben; es gibt keine verschiedene Ausdrucksarten mehr – wie z.B. »eine flammende Rede für...«, »ein nüchternes Plädoyer...«, »ein arger Verriss«. Alles Meinen ist auf sein Urteil reduziert, auf positiv oder negativ.
Obiger Artikel verweist auf nichts anderes als die Möglichkeit, dass uns hier vielleicht Einiges aus dem Zwischendrin verlorengeht, das doch auch ganz interessant oder wichtig sein könnte.
Denn zwischen Ja und Nein gibt es keine Ausdrucksvielfalt. Das + und der erhobene Daumen, das erigierte Glied in einem sozialen Netzwerk von Swingern (wäre ja möglich): alles nur »Ja«, alles nur die Endergebnisse gedanklicher Prozesse, ohne Verkörperung der Herleitung. Visualisierte Systemtheorie.
Der »Blitz« Heraklits ereignet sich nicht, Alles bleibt bits. Vielleicht singt deshalb Andreas Spechtl: »Diese Welt ist eine schrecklich dunkle Welt.«
Man muss halt wie immer die Betrachtung ändern, und schon werden Blitze sichtbar. Kathrin Passig hat neulich sehr lehrreich beschrieben, worauf es ankommt, damit in den Kommentarbereichen von Websites Denken passieren kann: Organisation, Moderation, Erziehung.
27.07.2011
Lasse Kjus Demokratie
Norwegens Schifahrer Lasse Kjus ist zur Vorbereitung auf die Weltcupsaisons mit Schistöcken durch die Moore seiner Heimat gestapft. Bilder in einem Sportprogramm des ORF zeigten ihn einmal mit erstaunlicher Geschwindigkeit sich durch oberschenkelhohes dichtes Erdreich bewegen und zu einem »Kraftpaket« werden. Ich erinnere mich an diese Bilder, als ich die Äußerung des norwegischen Staatssekretärs Eide nach dem Massenmord von Utoya lese:
»Dieser Mann wollte unsere Art zu leben verändern. Aber das lassen wir nicht zu. Wir wollen uns nicht von einem Einzelgänger diktieren lassen, wie die norwegische Gesellschaft in Zukunft auszusehen hat. Deswegen wollen wir so weitermachen wie bis zum vergangenen Freitag: als eine tolerante und transparente Gesellschaft. Das ist meine tiefe Überzeugung.«
Im Gegensatz dazu: was haben Politiker in Österreich zu sagen? Lest es. Merkt euch diesen Schwachsinn. Stellt euch vor: Mikl-Leitner, Faymann, Spindelegger in einem Moor: sie würden stehen bleiben und sich anscheißen.
25.07.2011
DMD KIU LIDT: Bescheidene Kritik I
Die meisten Rezensionen der Platte »DMD KIU LIDT« von Ja, Panik haben mich mit ihrer Großkotzigkeit und ihrer Nachplapperei so verstört, dass ich eine Serie starte, in der ich kleine Bestandteile der Lieder lobe.
Für eine Community wäre soundcloud.com am besten für diese Art der Fan-Anerkennung geeignet: dort kann man Kommentare an beliebige Stellen eines Liedes setzen. Bei guter Teilnahme wird so eines Gutteils eines Werkes Rechnung getragen. (Dann erst wäre es an der Zeit für einen Synthetiker, mit dem Metapflug drüberzufahren.)
Treten wir dem »over-sophisticated Pop-Diskursler« mit der Haltung bescheidener Anerkennung entgegen.
1) Textstelle:
»Ich hab verprasst was es gab zu verprassen«
»Es ist der Teufel hier am Werk« –
das find ich eine gelungene Wortstellung.
2) Schlagzeug:
»The Horror« super, in der zweiten Strophe die Chorstimmen schön und aufwallend, aber womöglich der Schlagzeugrhythmus zu einfältig.
3) Atonalität:
Beim ersten Hören klang dieser »that is why...«-Akkord in der vorletzten Wiederholung des Refrains von »Time Is On My Side« zunächst erfrischend atonal. (Ist es aber nicht.)
Für eine Community wäre soundcloud.com am besten für diese Art der Fan-Anerkennung geeignet: dort kann man Kommentare an beliebige Stellen eines Liedes setzen. Bei guter Teilnahme wird so eines Gutteils eines Werkes Rechnung getragen. (Dann erst wäre es an der Zeit für einen Synthetiker, mit dem Metapflug drüberzufahren.)
Treten wir dem »over-sophisticated Pop-Diskursler« mit der Haltung bescheidener Anerkennung entgegen.
1) Textstelle:
»Ich hab verprasst was es gab zu verprassen«
»Es ist der Teufel hier am Werk« –
das find ich eine gelungene Wortstellung.
2) Schlagzeug:
»The Horror« super, in der zweiten Strophe die Chorstimmen schön und aufwallend, aber womöglich der Schlagzeugrhythmus zu einfältig.
3) Atonalität:
Beim ersten Hören klang dieser »that is why...«-Akkord in der vorletzten Wiederholung des Refrains von »Time Is On My Side« zunächst erfrischend atonal. (Ist es aber nicht.)
Wien gehört vergrößert
Bin zur Zeit in China und habe erst neulich mir den Weg durch die Große Feuermauer gebahnt. Bis dahin hatte ich mich dazu herabgelassen, auf diepresse.com Kommentare zu verfassen.
Von diesen Perlen in der Sau erscheint mir nach wie vor interessant: mein »policy«-Vorschlag für ein schöneres St. Pölten und ein mächtigeres Wien, anlässlich eines Artikels, der die im Jenseits liegende Landeshauptstadt mit den üblichen Hinweisen auf zwei drei »urbane« Schauplätze schönzureden trachtete. Hier neu gepostet:
Die genannten Institutionen geben dem St. Pöltener Gulasch nicht viel Saft und gehen anderswo ab. Wie bereichert wäre Wien, wenn es ein weiteres Theater- und Konzerthaus (Landestheater NÖ), das Tonkünstlerorchester, das Cinema Paradiso und noch mehr Studenten hätte!
All diese Institutionen und die Landespolitik sollten nach Wien (zurück)ziehen. Die verbliebenen Regierungs- und Fachhochschulgebäude könnten in Altersheime verwandelt, St. Pölten das Zentrum des deutschsprachigen Raums für alte Leute mit bescheidenem Vermögen werden. »Pensionisten-Kompetenzzentrum« würde es ein Bürokrat nennen, aber das wäre überflüssig. Es reicht, auf die Bedeutung des Stadtnamens hinzuweisen. St. Pöltens Namenspatron, der heilige Hippolyt, wird laut Wikipedia »bei Altersschwäche« angerufen: Nomen es omen, semper et ubique, herr berndschiller.
Aus folgenden Gründen hätte das Sinn:
• Glanzstoff is gone – es stinkt nicht mehr, man kann die Stadt in ein schönes ruhiges »niederösterreichisches Florida« für Rentner verwandeln.
• Es wäre immer noch eine Stadt, d.h. dicht genug besiedelt, um Gesundheitseinrichtungen rentabel zu machen und alte Leute vor Einsamkeit zu bewahren.
Das ist meine aufrichtige Meinung und, wie ich finde, ein super, kostenloser Vorschlag für ein politisches Programm – einerseits zur Förderung des Weltstadtrufes Wiens und andererseits zur Nutzung St. Pöltens.
St. Pöltens Institutionen gehören nach Wien
All diese Institutionen und die Landespolitik sollten nach Wien (zurück)ziehen. Die verbliebenen Regierungs- und Fachhochschulgebäude könnten in Altersheime verwandelt, St. Pölten das Zentrum des deutschsprachigen Raums für alte Leute mit bescheidenem Vermögen werden. »Pensionisten-Kompetenzzentrum« würde es ein Bürokrat nennen, aber das wäre überflüssig. Es reicht, auf die Bedeutung des Stadtnamens hinzuweisen. St. Pöltens Namenspatron, der heilige Hippolyt, wird laut Wikipedia »bei Altersschwäche« angerufen: Nomen es omen, semper et ubique, herr berndschiller.
Aus folgenden Gründen hätte das Sinn:
• Glanzstoff is gone – es stinkt nicht mehr, man kann die Stadt in ein schönes ruhiges »niederösterreichisches Florida« für Rentner verwandeln.
• Es wäre immer noch eine Stadt, d.h. dicht genug besiedelt, um Gesundheitseinrichtungen rentabel zu machen und alte Leute vor Einsamkeit zu bewahren.
Das ist meine aufrichtige Meinung und, wie ich finde, ein super, kostenloser Vorschlag für ein politisches Programm – einerseits zur Förderung des Weltstadtrufes Wiens und andererseits zur Nutzung St. Pöltens.
Powerpoint ist nur ein Altar
Hier gehts zum Versuch des amerikanischen Literaturwissenschaftlers bayerischer Herkunft, Hans Ulrich Gumbrechts, aus altmodischer, nicht positivistischer Perspektive das »körperlose« Denken, Arbeiten und Leben im »Silicon Valley«-Zeitalter zu beschreiben, ohne in Kulturkritik zu verfallen.
Mitschriften einzig in digitaler Form auf dem Laptop gesammelt zu haben, vor einer Wortmeldung schnell Fakten in der Wikipedia nachzuschauen etc. – diese gut bekannten Facetten des »ausgelagerten Gedächtnisses« gehöre einer »reinen Spiritualität« an, die nicht Raum- und Zeit-gebunden ist und sozusagen das Wesen dieses Zeitalters ist.
Gumbrecht ist seit den späten 1980ern Amerikaner. Er schreibt für Deutsche wohlwollend über Amerika; amerikanischen Elitestudenten versucht er die kontinentaleuropäische Philosophie zu eröffnen.
Gerne weist er darauf hin, dass er das in der Geburtsstätte des gegenwärtigen Zeitalters tut, auf der Stanford University. Was ja auch wirklich eine coole »Marktpositionierung« eines Professors aus Deutschland ist, weil nach Heidegger noch einmal sich als Hüttenmensch aufführen wäre ja eine Farce.
Im verlinkten Blogeintrag zeigt sich die Klugheit eines Denkers, der sein Urteil fällt, erst wenn er eine Sache von mehreren Seiten bedacht hat und ihm ein denkerischer Einfall gekommen ist. So kann man vermeiden, zum Leitartikler zu werden, der mechanisch seine Argumentationen ausspinnt. Der denkerische Einfall Gumbrechts in der Silicon Vally Thematik ist eben die »Spiritualität«.
Aber zu unausgegoren! Zumal Gumbrecht gar nicht versucht, seine persönliche Abschiedsmelancholie zu übertünchen, die ihn langsam überkommt (er hat bereits das Datum seiner Emeritierung festgesetzt). Seine Anekdote über eine karrieristische Stipendiatin kommt in etwas angeekeltem Ton daher, und vorsichtig stellt er sich am Ende die große Frage, »ob wir so leben wollen«.
Wenn er doch bloß auf Facebook wäre! und diese Frage in den unwirklichen, wasser-, körperlosen Strom (FB-Stream!) geworfen hätte – hätte ich »like« gedrückt und kommentiert:
Also ich will irgendwie nicht so leben, aber es ist halt so. Zumindest bei mir Halbtrottel. Demgemäß beende ich diesen Eintrag mit einem Link –
auf einen Vortrag Gumbrechts mit angewandtem »riskanten Denken«. Er ist nicht mehr direkt über das FRIAS erreichbar, sondern über iTunes.
Typen wie ich sind halt selber nicht mehr fähig, »im Denken Fundamentales hervorzubringen« und dann in langen Vorträgen eine staunende Jüngergemeinde einzuweben, die sich in der Folge ein Leben lang bemüht, den aufgebundenen Bären loszuwerden.
Aber immerhin gibt es die unterhaltsamen Keynotespeaker, die sich die Wahrheiten klug zusammensuchen und »intriguing« wiedergeben können. Ich schreibe »intriguing«, weil man in der Californication das so sagt. Da lässt man sich gerne »intriguen«, unverbindlich. Mit dem Wort »fesselnd« wäre ich wieder in der oben ausgeführten Metaphorik gelandet, die Differenz ginge verloren.
Durch Keynotespeaker werden sowohl aktuelle Fachdiskurse verbreitet als auch moderne Klassiker wie Peter Drucker und die großen alten Philosophen hervorgeholt. In der Erinnerung, wie Denken »ging« und worin es gipfelte und in der Präsentation aktuellen szientistischen Denkens kommen wir zwar selber nicht ins Denken (wie Heidegger es gewollt hätte), aber zumindest ins Nachdenken.
Gumbrecht hat in einem anderen Kontext einmal die Figur des »Kurators« als Hauptakteur in der Zurschaustellung von Denken beschrieben.
Kurator, Keynotespeaker – diese schmierigen »in a nutshell«-Typen sind Verkörperungen, und die Leinwände, auf die sie ihre Powerpointpräsentationen werfen, treten doch deutlich als Etwas zutage – ich denke dabei an die Form des katholischen Altars in der Kirche. Den kann man ja auch Heiligen für Heiligen durchgehen.
Indem dieser Typus viel Geld verdienen kann, bleibt er beneidens- und nachahmungswert, und es werden sich Nachfolger finden, und damit werden sich Verhöhner finden. Diese Verhöhner können dann die Nachfolge des »Denkers« antreten. Wie der Erfolg des in Gesprächen nach Vorträgen fesselnd langsam sprechenden Peter Sloterdijk zeigt, können sogar diese »Denker« viel Geld verdienen.
Hiermit halte ich an der Hölderegger-Doktrin fest, dass es einen Notausgang aus der Scheiße gibt.
Mitschriften einzig in digitaler Form auf dem Laptop gesammelt zu haben, vor einer Wortmeldung schnell Fakten in der Wikipedia nachzuschauen etc. – diese gut bekannten Facetten des »ausgelagerten Gedächtnisses« gehöre einer »reinen Spiritualität« an, die nicht Raum- und Zeit-gebunden ist und sozusagen das Wesen dieses Zeitalters ist.
Gumbrecht ist seit den späten 1980ern Amerikaner. Er schreibt für Deutsche wohlwollend über Amerika; amerikanischen Elitestudenten versucht er die kontinentaleuropäische Philosophie zu eröffnen.
Gerne weist er darauf hin, dass er das in der Geburtsstätte des gegenwärtigen Zeitalters tut, auf der Stanford University. Was ja auch wirklich eine coole »Marktpositionierung« eines Professors aus Deutschland ist, weil nach Heidegger noch einmal sich als Hüttenmensch aufführen wäre ja eine Farce.
Im verlinkten Blogeintrag zeigt sich die Klugheit eines Denkers, der sein Urteil fällt, erst wenn er eine Sache von mehreren Seiten bedacht hat und ihm ein denkerischer Einfall gekommen ist. So kann man vermeiden, zum Leitartikler zu werden, der mechanisch seine Argumentationen ausspinnt. Der denkerische Einfall Gumbrechts in der Silicon Vally Thematik ist eben die »Spiritualität«.
Aber zu unausgegoren! Zumal Gumbrecht gar nicht versucht, seine persönliche Abschiedsmelancholie zu übertünchen, die ihn langsam überkommt (er hat bereits das Datum seiner Emeritierung festgesetzt). Seine Anekdote über eine karrieristische Stipendiatin kommt in etwas angeekeltem Ton daher, und vorsichtig stellt er sich am Ende die große Frage, »ob wir so leben wollen«.
Wenn er doch bloß auf Facebook wäre! und diese Frage in den unwirklichen, wasser-, körperlosen Strom (FB-Stream!) geworfen hätte – hätte ich »like« gedrückt und kommentiert:
Also ich will irgendwie nicht so leben, aber es ist halt so. Zumindest bei mir Halbtrottel. Demgemäß beende ich diesen Eintrag mit einem Link –
auf einen Vortrag Gumbrechts mit angewandtem »riskanten Denken«. Er ist nicht mehr direkt über das FRIAS erreichbar, sondern über iTunes.
Typen wie ich sind halt selber nicht mehr fähig, »im Denken Fundamentales hervorzubringen« und dann in langen Vorträgen eine staunende Jüngergemeinde einzuweben, die sich in der Folge ein Leben lang bemüht, den aufgebundenen Bären loszuwerden.
Aber immerhin gibt es die unterhaltsamen Keynotespeaker, die sich die Wahrheiten klug zusammensuchen und »intriguing« wiedergeben können. Ich schreibe »intriguing«, weil man in der Californication das so sagt. Da lässt man sich gerne »intriguen«, unverbindlich. Mit dem Wort »fesselnd« wäre ich wieder in der oben ausgeführten Metaphorik gelandet, die Differenz ginge verloren.
Durch Keynotespeaker werden sowohl aktuelle Fachdiskurse verbreitet als auch moderne Klassiker wie Peter Drucker und die großen alten Philosophen hervorgeholt. In der Erinnerung, wie Denken »ging« und worin es gipfelte und in der Präsentation aktuellen szientistischen Denkens kommen wir zwar selber nicht ins Denken (wie Heidegger es gewollt hätte), aber zumindest ins Nachdenken.
Gumbrecht hat in einem anderen Kontext einmal die Figur des »Kurators« als Hauptakteur in der Zurschaustellung von Denken beschrieben.
Kurator, Keynotespeaker – diese schmierigen »in a nutshell«-Typen sind Verkörperungen, und die Leinwände, auf die sie ihre Powerpointpräsentationen werfen, treten doch deutlich als Etwas zutage – ich denke dabei an die Form des katholischen Altars in der Kirche. Den kann man ja auch Heiligen für Heiligen durchgehen.
Indem dieser Typus viel Geld verdienen kann, bleibt er beneidens- und nachahmungswert, und es werden sich Nachfolger finden, und damit werden sich Verhöhner finden. Diese Verhöhner können dann die Nachfolge des »Denkers« antreten. Wie der Erfolg des in Gesprächen nach Vorträgen fesselnd langsam sprechenden Peter Sloterdijk zeigt, können sogar diese »Denker« viel Geld verdienen.
Hiermit halte ich an der Hölderegger-Doktrin fest, dass es einen Notausgang aus der Scheiße gibt.
22.07.2011
Graffiti unter Denkmalschutz
Müssen wir immer alles mit Sinn anfüllen? Jeden Quadratzentimeter Welt besamen? Plattgedrückte Kaugummis kleben lassen, nur weil jemand eine nette Zeichnung draufgemalt und »street art« dazu gesagt hat?
Ja, wir müssen. Der Westen verwandelt sich in eine einzige Tourismusstätte. Alles wird zum Museum, alles unter Denkmalschutz gestellt. Aus Allem weht ein heiliger Hauch; wir sind postmoderne Augustiner.
Wir sind halt einfach nicht so cool wie die Chinesen aus der armen Maozeit, die mit Pinsel und Wasser Schriftzeichen auf die Straßen malen (ohne sie vor dem Verschwinden zu fotografieren und sie danach, wie Ben Wilson, in einer [Flickr-] Galerie zu verewigen). Und Kaugummiwegschaber gibt es bei uns auch keine.
Der Vorsitzende eines islamischen Kulturzentrums in Bristol ließ ein Affengraffiti des mittlerweile weithin bekannten street artists Banksy übermalen. Es folgte ein Aufschrei in der Kunstwelt, eine Entschuldigung des unbedarften Muslims, und der Versuch einer Restaurierung. Was man bislang eher bei Kathedralen, Kapellen und der Akropolis und so gewohnt ist.
Dieser Blogger verleiht im Cyberspace den, sagen wir, »Legalisten« eine Stimme, die Graffiti als kriminellen Akt sehen und die Zuordnung ins Kunstsystem verweigern.
14.02.2011
Tod einer Märchenfigur
Andrian Kreye berichtet, wie er als Bub in einem Fernsehstudio von der lieben "Märchenfigur" Peter Alexander getätschelt worden ist und sich gut gefühlt hat.
Der Mann, der aus der Märchenfigur herausgestiegen ist und als Witwer und abgeschieden seinen Lebensabend verbrachte, ist tot. Mögen Sie in Ihrer Grinzinger Villa in Frieden geruht haben, Herr Peter.
Dazu ein billiges aktuelles Einsprengsel, Thema: ORF-Sendung "Österreich wählt" vom 11.II.2011:
Ich finde es klug von Ihnen, Herr Peter, dass Sie sich nicht hin zu Ruhestands-Fernsehauftritten haben reißen lassen. Sie haben sich nicht als Versatzstück hergegeben, das sich auf eine Couch neben andere ORF-Requisiten (Rapp, Koller, Massimo auch schon) und Staatsfunkbeamte (Roscic) setzen und sich von der Schaufensterpuppe Andi Knoll Fragen stellen lässt.
Dazu eine Frage an ORF-Programmdirektor, Medientheoretiker und Moralphilosoph Wolfgang Lorenz:
Welches Honorar erhält Oliver Pocher fürs Herumsitzenmüssen in oben geschilderter Runde und fürs vom Unsympathler Rapp Angeschnauztwerden?
Der Mann, der aus der Märchenfigur herausgestiegen ist und als Witwer und abgeschieden seinen Lebensabend verbrachte, ist tot. Mögen Sie in Ihrer Grinzinger Villa in Frieden geruht haben, Herr Peter.
Dazu ein billiges aktuelles Einsprengsel, Thema: ORF-Sendung "Österreich wählt" vom 11.II.2011:
Ich finde es klug von Ihnen, Herr Peter, dass Sie sich nicht hin zu Ruhestands-Fernsehauftritten haben reißen lassen. Sie haben sich nicht als Versatzstück hergegeben, das sich auf eine Couch neben andere ORF-Requisiten (Rapp, Koller, Massimo auch schon) und Staatsfunkbeamte (Roscic) setzen und sich von der Schaufensterpuppe Andi Knoll Fragen stellen lässt.
Dazu eine Frage an ORF-Programmdirektor, Medientheoretiker und Moralphilosoph Wolfgang Lorenz:
Welches Honorar erhält Oliver Pocher fürs Herumsitzenmüssen in oben geschilderter Runde und fürs vom Unsympathler Rapp Angeschnauztwerden?
08.02.2011
Schimpfen auf Zäune
Hinter meterhohen Hecken
hast ein Häuschen hingebaut
Heim und Heirat, Heil und Heimat
hüllen dich in zweite Haut
Diese kostbaren Verse aus dem Scheißlied Mitten auf der Straße kommen mir in den Sinn, wenn ich am Botschaftsgebäude der Vereinigten Staaten in der Wiener Boltzmanngasse vorbeiradle und als ich neulich deren Staatsvertretung in Bratislava, sich wie einen Schandfleck darstellend, auf der »Promenade« erblickte.
Und soeben liest mir meine krank im Bett liegende Freundin – die mir seit drei Jahren bei meinen unvorhersehbar und heftig wie epileptische Anfälle auftretenden Zaunbeschimpfungen beisteht – aus Jonathan Franzens Korrekturen vor und zitiert:
»...abgesehen von dem unschlagbaren Preis der Villa (sie war umsonst gewesen) und ihren hervorragenden Sicherheitsvorkehrungen (inklusive eines bewehrten Turms) und eines Zauns, der einer US-Botschaft würdig war...«
hast ein Häuschen hingebaut
Heim und Heirat, Heil und Heimat
hüllen dich in zweite Haut
Diese kostbaren Verse aus dem Scheißlied Mitten auf der Straße kommen mir in den Sinn, wenn ich am Botschaftsgebäude der Vereinigten Staaten in der Wiener Boltzmanngasse vorbeiradle und als ich neulich deren Staatsvertretung in Bratislava, sich wie einen Schandfleck darstellend, auf der »Promenade« erblickte.
Und soeben liest mir meine krank im Bett liegende Freundin – die mir seit drei Jahren bei meinen unvorhersehbar und heftig wie epileptische Anfälle auftretenden Zaunbeschimpfungen beisteht – aus Jonathan Franzens Korrekturen vor und zitiert:
»...abgesehen von dem unschlagbaren Preis der Villa (sie war umsonst gewesen) und ihren hervorragenden Sicherheitsvorkehrungen (inklusive eines bewehrten Turms) und eines Zauns, der einer US-Botschaft würdig war...«
06.02.2011
12.01.2011
In China bleiben Räder stehen
Auf den Sätteln der öffentlichen Fahrräder einer Stadt in der Provinz Sichuan sind keine Hintern, sondern Staub.
Abonnieren
Posts (Atom)