12.11.2010

Friedensbrücke: Früher Natur, jetzt Idylle

Beim Spazieren in der Wiener Hauptbücherei fiel mir Alfred Pausers Kompendium »Brücken in Wien« in die Hände, das über die Errichtung der Friedensbrücke im Jahr 1924 berichtet:

»Im Unterschied zur alten [der Brigitta-] Brücke war bereits in der Ausschreibung die Anordnung des Tragwerkes unter der Fahrbahn bedungen worden und dies trotz der damit verbundenen höheren Kosten. Man wollte den freien Ausblick auf den Leopoldsberg und Kahlenberg nicht durch die nüchtern wirkenden eisernen Tragwände stören.«

Demnach wurde hier, durch Zahlen eines höheren Preises, die geilste Technik belohnt: nämlich eine Lösung, die ihre gesteigerte Komplexität vor dem Laien verbirgt; »nüchtern wirkende« Tragwände sollten von einem noch besseren Gestell ersetzt werden; die noch größere Nüchternheit dieser Lösung sollte sich nicht protzig mitteilen; –– so wie der Athlet Pete Sampras, nachdem er in den 1990ern zu Nike umgestiegen war, seine Muskeln unter lang geschnittenen Hosen versteckte, während Thomas Muster den altmodisch gewordenen kurzen Shorts treu blieb, die so schön zu seinem kämpferischen Betragen passten ––; der passierende Laie sollte sich an dem Ausblick auf die Natur erfreuen können –

der Brückenbau folgt Funktionalität, Ingenieurskunst und einem Hang zur Natur

(aus welchen Gründen die Natur hier der Rechtfertigung dient, kann ich auf die Schnelle nicht eruieren. Ein niederer Grund wäre Eskapismus, wie Nietzsche ihn beschrieben hat [à la man sitzt jetzt den ganzen Tag im Büro und will hinaus in die Natur; früher in der unterhaltenden Gesellschaft am Hof Ludwigs XIV hätte es das nicht gegeben]; ein erhabener Grund wäre, wenn man sich in der Nachfolge des Turmsteigers Goethe sieht und sich auch auf Brücken einen Überblick über die Gegend verschaffen möchte; [noch durchzudenken ist das Ganze aus Heideggers »Geviert«-Totalperspektive, insbesondere im [Brücken-] Essay »Bauen Wohnen Denken«).

Mit der Renovierung der Friedensbrücke – ich begleitete kritisch – ist eine andere Stadtbau-Maxime umgesetzt. In einer Neuauflage wird es über die heuer erfolgte Renovierung heißen müssen:

»Trotz der damit verbundenen höheren Kosten wurde ein höheres Geländer angebracht. Man wollte erstens eine/n Künstler/in subventionieren und gab zweitens einer pazifistisch-naiven Vorhaltung lieblicher Friedenstauben im Geländerglas die Priorität vor dem nüchternen freien Ausblick auf Leopoldsberg und Kahlenberg.«