30.08.2014

DiePresse.com: Eine Beobachtung.

In der »Presse«-Mobil- und Webversion kommen alle gängigen Arten von Anführungszeichen zum Einsatz.

1. Die „deutschen“,
wie wir sie in der Schule gelernt haben (die wir eigentlich auch beim Gestikulieren oben und unten setzen müssten ;)








2. Die "digitalen"
– anglistisch oben und unten, aber nicht gebogen; auf Serifenbasis oder total schlicht – sind in allen Softwares Standard, die nicht ausdrücklich das Herstellen schöner visueller Eindrücke in Anlehnung an traditionelle Druckschriften bezwecken.










3. Die »Guillemets«,
gekannt aus Büchern, mit « Abstand » von Franzosen verwendet, im deutschen Sprachraum durch den einfachen default-shortcut auf Mac-Computern populär geworden; ich habe sie mit meinem MacbookPro jahrelang verwendet, komme mir mittlerweile blöd vor, bleibe aber zumindest in diesem Blog dabei:








4. Und die genannten Anführungszeichen kommen auch alle gemischt zum Einsatz!


















Bei so viel Gemixe tut es gut, wenn auch andere Publikationen danebenhauen, z.B. faz.net und falter.at:






5. Außerdem ist die »Presse« sich nach wie vor unsicher beim Einsatz von Apostrophen. Die Redakteure verwenden den gelernten Apostroph (allerdings den unhübschen der Klasse "digital" serif'nlos), die coolen Kolumnisten von außerhalb keinen (Ähnliches wird sich leicht bei der Kurier/Knecht-Kollaboration finden lassen):











Schon ganz früh ging es in diesem Blog um das Phänomen Apostroph.

22.08.2014

Deflation, Inflation, Deflation

Lese »Uniqlo Syndrome«, die ungehemmten Feststellungen des Autors, Kensuke Kojima, entzücken mich, er wird ganz miesepetrig angesichts der jungen Generation Japans, die dem Verlangen nach Selbstverbesserung den Rücken kehre und in einen »sparsamen, niedriggradigen Lebensstil« versinke und in einem »kindergartenartigen Gutfreundsozialismus« Unterschlupf finde, während »their mentors have to care for them like kindergarten children.«
Ihren scheinbar unfreiwilligen Hedonismus fängt er haiku-lakonisch so ein: »buy fashion easily after looking at pictures of them on mobile phones.«
So eine Mischung aus betriebswirtschaftlicher Studie und schräger nominalistischer Kulturkritik, ohne die elendlangen Storys, die englischsprachige Journalisten gerne drücken, kannte ich bislang nicht. Annähernd, von einer anderen Seite her, bei Houellebecq.
Gewand von Uniqlo kenne und kaufe ich seit mittlerweile drei Jahren, da in meiner Heimat Österreich noch kein Geschäft dieser Kette aufgemacht hat und ich in meinen Uniqlo-Jeans, Socken, Airism- und HeatTeach-Leiberln und, neuerdings, wunderbaren button-down-Polohemden mit Brusttasche relativ einzigartig dastünde. Stünde ich bloß dort, in der Heimat, da!
Ich weile ihrer fern. Dangling Man von Saul Bellow las ich, als ich 2012 in der Heimat der Ferne entgegenwartete; heute schmökere ich auf Elitepartner.at nach Gefährtinnen für die Zeit nach der Rückkehr nach Europa. Einerseits mache ich empirische Bestätigungen dessen, was ich 2008 bei Eva Illouz zum Thema gelesen hatte; andererseits kommt es mir normal vor, nun zu dieser Art der Partnersuche zu greifen. Im Grunde genommen sollten Elitepartner, Parship und Facebook Ein Netzwerk sein, aber die Restskrupel in der Gesellschaft sind noch zu groß. Mark Zuckerberg weiß das und wartet, aber ungeduldig.
Jedenfalls habe ich mich zwei Mal schon dabei ertappt, wie ich meine Freundin (die mit den Tritten) fragen will: »Da hat mich jetzt diese Vorstandsassistentin angeschrieben und ihr Foto freigeschaltet, die ich ganz interessant finde, was denkst du?«
Irgendwie bin ich noch ein ganz furchtbarer, schwätzerischer Bub. Das Wort vom good-companion socialism trifft es vielleicht nicht, aber es hat Identifikationspotential. Ein Leben wie ein Schwimmflügel, es kommt immer diese Luft heraus, dann bläst man halt wieder rein. Und dann kommt die Luft wieder heraus.
Es würde mich nicht wundern, wenn das ganze nicht in einer Tragödie endet, sondern ebenso godotisch weiterklänge, wie es irgendwann einmal angefangen hat: Deeeeflation! Iiinflation. Deeeflation. Irgendwer hätte das damals abfangen und mir eine Ohrfeige verpassen müssen. Mein Mentor in der Jugendzeit hat es geahnt und es versucht, 1999, als er mich aus dem Zelt zerrte und zu einer nächtlichen Strafexpedition schleppte. Aber ich habe irgendwann angefangen zu weinen und da ist er weich geworden. Heute macht er, mein Vorbild, eine Coachingausbildung, genauso wie der Vorsitzende der Neos eine gemacht hat und der schreckliche Typ aus dem ORF, der seinen Kindern Kaffeetrinken verbat, damit sie auf härtere Drogen gar nicht erst kommen. Ja, der mit der Glatze. Der immer so tief sprach, dass sein Adamsapfel ihm auf der Speiseröhre kratzte.
Vielleicht hätte ich beim Fußballspielen im Garten, bei der Feier meines siebenten Geburtstags, nicht so frühfair das Angebot C.H.'s ablehnen sollen, in mein Team zu kommen.* Ich hätte mit ihm die Gegner aus unserem Garten schießen sollen.
Überhaupt ein Fußballprofi werden sollen. Das sind die berühmten Männer geworden, Zidane, Baloteli, Suarez. Zidane hatte diesen männlichen Abgang. Baloteli und Suarez mit ihren Transferauflagen und Spielsperren tragen die Ketten der Gesellschaft wie einen Schmuck, sie sind die schönsten unter uns Tieren. Manchmal kann man beobachten, wie sie ausbrechen. Dann lassen sie sich die Ketten wieder anlegen, aus Gnade. David Beckham ist ein Schoßhund.
Vielleicht hätte ich den Küchengesprächen bei uns daheim fernbleiben sollen. An eines kann ich mich erinnern, zwischen meiner alten Schwester und der Mama, vor elf Jahren vielleicht, in dem es um den Vater einer Schulfreundin ging, reicher und erfolgreicher Unternehmer, der immer zu seiner Exfrau lief und seinen Kummer über seine Neue ausplauderte.
Du bist nicht sicher, weil du schreibst, #andreassprechtl.
Das wenige, das ich in den letzten Jahren gelernt habe: unter einem Hemd trägt man ein Leiberl mit V-Ausschnitt (am besten eines aus Airism-Faser von Uniqlo), weil ein runder Ausschnitt, der unter dem offenen Hemdkragen hervortritt, egal in welcher Farbe, egal von welchem Amerikaner oder Deutschen getragen, bis zum Gehtnichtmehr Scheiße aussieht.




* modus probus humanusque praecox. Basierend auf dem Eintrag Fairness in: Neues Latein Lexikon. Bonn: Edition Lempertz, 1998


13.08.2014

Don’t be evil (to homo sapiens sapiens)

Hier sind drei Deutsche, die eine Sitzbank kreiert haben, mit USB-Anschlüssen zum Aufladen von elektronischen Geräten, der Strom wird von einem Solarpaneel generiert, das in einen trapezförmigen Betonblock in der Mitte der Bank eingefasst ist, und die Bank weiß, ob wer auf ihr sitzt, und sagt das dann Cisco und der stellt die Info ins Netz rein. Wer auf ihr sitzt, wirst dann nach ein paar Updates auch wissen können, aber nicht bei jedem, weil ein paar Ewiggestrige ändern sicher wieder ihre Privacyeinstellungen. Naja, sei den letzten Menschen nicht böse.

Ich wünsche den Designerinnen/Unternehmerinnen viel Erfolg. Ich hab selber um Aufnahme in das buzzmachenwollende early adopter program gebeten, aber hier muss ich natürlich das Fehlen einer Rückenlehne an den bisherigen Prototypen festhalten.
In diesen vorherigen Einträgen meines Blogs habe ich meinen Ärger über rückenlehnenlose Sitzmöbel dokumentiert.
Drehte man beim Soofa das obere Trapez um, käme wenigstens, in einer Sitzposition wie auf diesem Foto, ein Hauch Rückenlehne zustande.

Vergangenheit und Karriere

Von den Richtersprüchen von Luxemburg und Hongkong halte ich nichts, da sie der Menschenrechtsrhetorik Tür und Tor öffnen. Aber die prädigitale Zeit war sicher für Karrieremöglichkeiten des Einzelnen üppiger im Angebot, und der Abwehr des avantgardistischen Giganten Google bin ich daher eher wohlgesonnen. Früher konnte man fliehen und war anderswo ein Niemand. Zuversichtlich. Vorwärtsblickend. Heute? Wohin man auch flieht, Mark Zuckerberg bittet darum, man möge seinen richtigen Namen verwenden.

Malcolm Gladwell streift das Thema in seiner Gegenüberstellung der Karrieremöglichkeiten von Mafiosi und jugendlichen Schwarzen im zeitgenössischen Staate USA (wohlgemerkt: der Eine Staat, die Eine Republik USA, in der scheinbar die interstaatliche Flucht auch nicht mehr aus dem Schlamassel führt). Entgegen der Moral der Geschichte im Roman und Film vom Paten und seiner Familie, die nie habe dem Verbrechen entkommen können, seien Mafiosi am Ende in der oberen Gesellschaft angekommen. Aus afroamerikanischen Kleinkriminellenmilieus hingegen gäbe es keinen Ausweg.

Man kann Gladwells Argumentation folgen, sollte ihre Düsterkeit aber noch erweitern: 1. mit dem Hinweis auf das geschichtliche Bewusstsein der beiden Ethnien. Italiener hatten die moderne Welt aus der Erinnerung an die Antike erfunden. So elend Süditalien gewesen sein mochte, als so unterschiedliche Figuren wie der geniale Schuhmacher Salvatore Ferragamo und die von Gladwell geschilderte Mobfigur Giuseppe ihm den Rücken kehrten, der Rassenstolz kam mit in die neue Welt. In einer schauderhaft guten Szene der Sopranos fragt ein orthodoxer Jude, wo denn heute die Römer seien, denen sein Volk in der Festung Masada sich nicht beugte; Tony Soprano: Sie stehen vor dir...
Ein Afroamerikaner hingegen, der irgendwann in seinem Leben durch einen Ausrutscher zum Grübeln gebracht wird, dem steht als historische Referenz wenig Erbauliches (in unserem Denkhorizont mögliches Erbauliches) bereit und der mag mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der der Italogangster, latent oder manifest, sich für einen coolen Caesar hält, sich lediglich einen armen Sklaven dünken. Der Italogangster kann erobern; der Schwarze nur den Aufstand proben.
2. waren der Beginn des 20. Jahrhunderts und die 1950er Aufbaujahre. Als sie stattfanden, mussten die Schwarzen sich noch mit Emanzipation beschäftigen. Was sie dann später, in den 1980ern und 1990ern, zum Volksbewusstsein Amerikas beitrugen, Gangsterrap, brachte den Gangsterrappern legitimes Blingbling ein, aber vielen schwarzen Amerikanern war er eine unselige Einzementierung. Wie schwer aus dieser herauszukommen ist, schildert Gladwells Artikel: kriminelle Milieus werden stärker bewacht als früher, von einer Polizei, die extrem viele routinemäßige Untersuchungen durchführt. Heranwachsende Kinder verinnerlichen dadurch die Rolle des generalverdächtigen Angehaltenen, der die Hände in vorauseilendem Gehorsam hinter dem Rücken verschränkt und den Handschellen anbietet.
3. blicken wir eben auf die (relativ!) geglückten Mafiosikarrieren  z u r ü c k ;  ewig tolpatschig im Crime gefangene Niggaz hingegen erfahren wir als Gegebenes unserer Zeit, und diese ist, wie Hans Ulrich Gumbrecht immer schreibt, gekennzeichnet durch eine fliehende Gegenwärtigkeit, drückende Vergangenheit, und fehlende vielfache Zukunftstüren.

Aber das ist alles schon Tausendmal gesagt. Uns tut not, das Gesagte zu vergessen. Google, ich hab eine Idee für ein Produkt. Es heißt Tabula Rasa. Man schreibt eine Suchanfrage, und nichts erscheint.

Nachwort.
Neben der verwelkenden Kultur blüht ja immer jene frische Kultur auf, die sich an nichts erinnert, und einzig ihrem Instinkt folgt: Wachse! Das mafiosogünstigste Klima, mit Ausblick auf spätere Legitimierung, herrscht heute wahrscheinlich in der Volksrepublik China. Google Search ist von dort verscheucht worden; und chinesische Fabriksvertreter treten gegenüber ihrer nicht-chinesischen Außenwelt gerne mit Decknamen auf. Einer meiner Lieferanten hieß früher Alex, dann baute er Mist, wechselte die Branche, und verkauft jetzt unter dem Namen Frank. Diese Möglichkeit steht auch Smile, Champion, Rabbit, Juda und Tweety offen.