Start einer Fotoserie. Mitten auf einer von Autos wimmelnden Kreuzung in Xi'An fand ich im Juli 2008 das wunderbar andere China, das einzelne westliche Intellektuelle – z.B. Herbert Müller-Guttenbrunn, Georg Kreisler – lange beschworen und das seit dreißig Jahren zu verschwinden zu drohen scheint.
Von vorbeizischenden Elektroradfahrern und unglücklichen Rasern schied ich das, was ich »chinesische Radfahrer« nenne: die Künstler der besonnenen Fortbewegung – die erhabensten Schlenderer! Sie strahlen Gemächlichkeit aus... eine andere Praxis des Radfahrens als jene von Wettbewerb und Körperschindung geprägte »westliche«.
Bild 1 zeigt einen nicht gerade entspannt schauenden Radfahrer. Er grübelt vielleicht; vielleicht ist er dumm und kann nicht anders schauen. Vielleicht ist das Radfahren anstrengend – es sei ihm zugestanden, denn die Kreuzung ist höllisch – der unbefahrene Asphalt rings um das Rad täuscht – Busse und Taxis warten vor den Ampeln darauf, losrasen zu dürfen. Sobald das Kreuzungsrund freigegeben ist, steht der Mann in Dauerbeschuss. Nicht, dass Lebensgefahr bestünde; die motorisierten Verkehrsteilnehmer sind aufmerksam genug. Aber der Radler hat sich in den Fluss der Motorisierung einzuordnen. Konzentration ist gefordert, ein Ausweg aus der Kreuzung wird anvisiert; eine kaum merkbare Erhöhung des Tempos; eine insgeheime Unzufriedenheit mit dem kleinen Vehikel, dem Ballast; Anstrengung – und alle Anstrengung konzentriert sich im Mann.
Aber die Frau! Die paradoxe Rettung des chinesischen Radfahrens! Sie sitzt wie eine Prinzessin auf dem Träger; mühelos schweben ihre Füße, ihre Stöckelschuhe über dem Asphalt; ein Arm ist zart, lose um den schlanken Bauch gelegt. Sich auf einem Rad durch die Gegend fahren lassen – wo sieht man das »bei uns« noch! Das Bedenken der idealen Position beiseite lassen, nicht plump rittlings aufsitzen, sondern elegant im »Damensitz«... sich dabei die Anstrengung des Beinehochhaltens nicht anmerken zu lassen, oder sogar nicht einmal zu spüren... wie bezaubernd!