Der neue Durex-Werbespot bringt mich zu der erbaulichen Interpretation der »Zauberflöte«, dass Mozart die Partie Paminas für eine »Deep Throat«-Sängerin schrieb, deren Clitoris im Hals saß (wie in dem Kultporno.)
Clitoris bringt mich zu Klitoris, und das zu Klytämnestra, Elektra. Elektras tobender Traum, plus dazurockendes Orchester, bringen den Kitzler meiner OHREN zum Schwingen. Muss man sich geben***. Der Typ, der die Aufnahme (Metropolitan Opera 1981, James Levine conductor) hochlud, hat auch den geilen Text von Hofmannsthal danebengeschrieben/gepostet. Und als Kommentar die irgendwie lächerlichen, irgendwie passenden Worte: »Genialst umgesetzte Emotionen.......«
Und wenn schon immer nur von der »verteufelt humanen« (Goethes Nachbetrachtung) Iphigenie die Rede ist, erinnere ich an den geilen ersten Auftritt Orests, der an Furchtbarkeit nichts zu wünschen übrig lässt.
***Muss man sich GANZ geben. NICHT zum Höhepunkt der Ekstase auf 08:47 scrollen, das wäre EJACULATIO PRAECOX.
24.11.2009
20.11.2009
Wixer reloads and discharges
Der Wixer, den ich letztens so verdammte, entlädt seine Apostrophenhoden nicht nur im Presschen, sondern auch auf Wiener Speisekarten. Mein erster Fund: das Schnitzel vom Schwein ist »des Wieners Lieblingsspeis’«
Und auf den Hinweiszetteln der Trafikanten: Man verkaufe keine Zigaretten an unter-16-Jährige, »hab’ Verständnis, dein Trafikant.«
Und in der neuen Kampagne für den »Opel unter den Tageszeitungen*«: »Das hab’ ich vom Kurier«.
*Mir ist dieses Epithet im Jahr 2006 in einem Seminar durch Herrn Clemens Hüffel überliefert worden. Möge Opel aufhören, seine Autos aufzupeppen, und der Kurier aufhören, neue Chefredakteure »neuen Schwung« bringen zu lassen, damit es ewige Gültigkeit bewahre!
Und auf den Hinweiszetteln der Trafikanten: Man verkaufe keine Zigaretten an unter-16-Jährige, »hab’ Verständnis, dein Trafikant.«
Und in der neuen Kampagne für den »Opel unter den Tageszeitungen*«: »Das hab’ ich vom Kurier«.
*Mir ist dieses Epithet im Jahr 2006 in einem Seminar durch Herrn Clemens Hüffel überliefert worden. Möge Opel aufhören, seine Autos aufzupeppen, und der Kurier aufhören, neue Chefredakteure »neuen Schwung« bringen zu lassen, damit es ewige Gültigkeit bewahre!
12.11.2009
Erbauung durch Musik
»...es gehet ihnen nach dem Sprichwort: Wer nicht singen kann, will immer singen«
Martin Luther über die Schaben
»...erbaulich und geil«
Wilhelm 1774 über den Nino aus Wien
Martin Luther über die Schaben
»...erbaulich und geil«
Wilhelm 1774 über den Nino aus Wien
11.11.2009
Für Beethoven, gegen Wixer
In diesem Beitrag widme ich mich der Verschriftlichung der deutschen Sprache. Ausgehend von der Betrachtung eines gewissen wienerischen Manierismus in der Tageszeitung »Die Presse« (fortan »Presschen«, welchen abfälligen Spitznamen ein leider unverlinkbarer Freund ihr gegeben hat), entwickle ich Zorn gegen jede Art von solchem »schwankenden« Sprachbewusstsein und eine Neigung zum »ursprünglichen« Sprachbewusstsein Martin Luthers.
Ich behaupte dann: Menschen mit ursprünglichem Sprachbewusstsein können »stramm« sein, Menschen mit schwankendem Sprachbewusstsein nicht. Es liegt im Interesse jedes/r Volks(wirtschaft), in Grundschüler ein ursprüngliches Sprachbewusstsein zu programmieren, um Wohlstand zu erhalten.
Ich lese im Presschen Wörter, die gemäß dem »Wienerischen« lautgeschrieben sind. Ich lese: »Ruh’«, »Freud’«, »Fried’«, »Sünd’«. Dem derzeit korrekten Schriftbild (Ruhe, Freude, Frieden, Sünde) wird getrotzt, und gleichzeitig wird durch die Setzung des Apostrophs gezeigt, dass man trotzt. Dass der Apostroph dazu da ist, Auslassungen zu bedeuten, nutzt der Presschen-Redakteur schamlos aus: Er setzt den Apostroph, um zu zeigen: Wir sprechen unsere eigene Sprache. Wir mögen die Preußen nicht. Wir spielen den Sound unserer schönen österreichischen parole.
Es ist demnach nicht nur ein Norm-Ungehorsam, sondern die Setzung einer neuen Norm, wie die parole autrichienne (die in diesem Fall vom Wienerischen, von Grillparzer über Nestroy und jenseits bestimmt wird) als langue auszusehen habe. Sätze wie »Das ist eine Red’« erzeugen den Mythos des gesprochenen Wienerischen. Genauso wie jemand einmal das Walzerspiel der Wiener Philharmoniker zu mythologisieren versuchte, indem er behauptete, die dritte Viertelnote werde kaum noch angeschlagen, sondern, einem feinen Sahnehäubchen gleich, dem Vorherigen nachgehaucht. Würde man diese Spielart in Partituren vermerken, könnte man einen Apostroph verwenden!
Der Wiener Apostroph – ein Signifikant für heiter Nachtorkelndes, Gemütlichkeit, eine gütige Stimme, Weinseligkeit.
Noch mächtiger ist die Ausstrahlung eines Apostrophs, wenn er im Feuilleton des Presschens steht. Denn das Presschen druckt die Überschriften der großen Artikel, oder ausgesuchte einzelne Wörter, im Feuilleton kursiv, damit unabhängig vom Inhalt der Überschrift ein eigener Mythos des geistreichen Feuilletonisten erzeugt wird.
(Exkurs. Wer sehen will, wie sich der Gott aller nachmodernen Schmetterling-Werbesujets, Vladimir Nabokov, über Journalisten lustig macht, dem sei dieses Video, 4:25–5:11, empfohlen. Nabokov verabscheut »journalistic clichés«, und er verabscheut Schriftsteller, die Wörter kursiv setzen, um tolle Gedanken darzustellen. Das Presschen-Feuilleton, das sich qua Feuilletonsein von journalistischen Klischees fernhalten will, tappt in eine andere Falle.)
Der Mythos des geistreichen Feuilletonisten verstärkt den Mythos aus den Elementen einer süßlich-morbiden »Viennität«.
»Das ist eine Red’«,
oder konsequenter:
»Das is’ eine Red’«
sind dann Das Wienerische.
Überschriften- bzw. Mythenleser werden ungewollt in den Strudel von Wienertum gezerrt. Und dieser Strudel ist nicht das süße Struderl, das Christoph Waltz in »Inglourious Basterds« verzehrt, sondern ein tödlicher Sumpf aus allen Zuckerrüben, die notwendig sind, um den täglichen Zuckerbedarf Wiens und seiner Touristen zu stillen, plus allen toten Körpern, die täglich in die Erde des Wiener Zentralfriedhofs spediert werden.
Man bleibt dergestalt kleben, dass eine Entwicklung zum produktiven Staatsbürger verhindert wird.
Anders gesagt: Man ist eben doch das süße Struderl. Man ist in dem Film ein witziger Einfall, aber allgemein, kulturell-mahlzeitlich betrachtet ist man ein winziges Element, Nachspeise, Epilog. Großer Braten: Macht, Höhepunkt ist man nicht.
Welcher halbwegs kosmokratische österreichische Politiker kann dem zustimmen?
Und wie kann man die zukünftige Generation vor diesem Strudel schützen?
Bei Gott, mit Luther!
Ich lese in Martin Luthers Predigt »über das Eheleben«, dass es eine »Sünd« gebe, und bin sofort aufgegeilt. Wie er das schreibt! So einsilbig! Wie es dasteht! Wie frisch es ist, wie zielstrebig! Wie unzweideutig! So – stramm!
Man sagt, Luther habe den Leuten auf den Mund geschaut – und demnach sah er auf den Mündern (»Münd«?!) das Wort »Sünd«. Nicht »Sünd’«. Also waren die Münd stramm. Die Münd gehörten den Leut. Die Leut waren stramm.
Ich nenne Luthers Skription »ursprünglich«, denn Luther war der erste deutsche Schriftsteller. (Nietzsche und Goethe verehrten ihn diesbezüglich.) Seine Skription ist der Ursprung deutscher Schriftsprache und im Zuge der Literarisierung bis zum Pöbel nachwirkend.
Wende ich mich wieder dem Presschen zu, wird deutlich, dass das Wort »Sünd’« ursprünglich empfunden sein mag, aber nicht ursprünglich geschrieben ist. Sein Ursprung ist das Jetzt. Sein Raum ist Wien.
»Sünd’« zu schreiben ist nach-ursprünglich: dem Sündenfall »Germanisierung des Schriftwesens« bloß folgend. Es ist ein von der Erbschuld, Luthers Deutsch, erfasstes Kind, aber nicht der Zeuger oder die Gebiererin. Luther ist Adam, das Presschen ist Kain. Auf seinem Haupt trägt Kain einen Apostroph.
Wo und wann immer ich das Presschen sehe: der Versager Kain steckt drin, denn Kain schreibt ja diese Zeitung.
(Ich könnte weiterätzen und dem oft die Werbelinie wechselnden Presschen raten, die berühmte, jahrelang mannigfaltig variierte F.A.Z.-Werbung zu remixen: »Dahinter steckt immer ein Versager.«)
Ursprünglich schreibt man »peccatum«, dann kam Luther und schrieb »Sünd«, ihm folgten Leut à la Goethe, Grimm, Duden, die ein »e« hinzufügten. Dem Wiener Presschen-Redakteur bleibt nichts, als sich in seinem Jetzt vom Lauf der Geschichte bisher marginalisiert zu sehen: Denn er kann nicht »Sünd« schreiben, weil er »Sünd’« denkt, und nicht »Sünde« denken, weil er »Sünd’« schreibt.
Ein Kain sein heißt, ein Verlierer zu sein.
Ich versuche, dies »abgekühlt« zu formulieren. (Karl Heinz Bohrer verwendet gerne die Wendung »etwas systemtheoretisch abkühlen«, siehe diesen Kommentar sowie einen Aufsatz über fehlenden Willen zu Strammheit in Merkur, 61. Jg., 8/9, S. 667. Zum Systemtheoretiker bringe ich es nicht, aber »abkühlen« ist eine gute Metapher.)
Ein Nicht-Hochdeutsch-Programmierter empfindet die hochdeutsche Skription als Norm. Empirisch lässt sich feststellen, dass er sich daran hält. Seine von der Norm abweichende Sprache wird er in eine normierte Skription immer nur als Irritation, als ironische Geste, als »Schmäh« einbauen können.
Poetisch lässt sich feststellen, dass ein »Schmäh« nur ein »Schas« (hochdeutsch: Furz) ist.
Erbaulich lässt sich dann sagen:
»Was aber Furz ist, fahre zum Teufel.«
Ein Leben abseits der Skriptionsnorm ist ein Leben außerhalb der herrschenden Klasse. Ein Leben für Loser, Schwächlinge.
Ich will kein Loser sein, und eine Volkswirtschaft braucht keine Schwächlinge.
Nietzsche würde jetzt fragen, hat man mich verstanden?, und ich glaube, das ist ein guter rhetorischer Trick, um Redundanz zu verdecken. Ich fahre also fort:
Als Kain lebt man in einem perpetuierten Pinballsprung (ein Wissenschaftler würde sagen »oszilliert«) zwischen dem eigenen, als »ursprünglich«, und einem anderen, als »legitim ursprünglich« empfundenen Sprechen.
Und weil ja Sprechen Sprache ist, und Sprache, Heidegger und Gadamer auf einmal zitierend, ein »Haus des Seins das verstanden werden kann« ist, befindet sich dieses Sein im Schwanken.
Wo aber das Sein schwankt, ist es nicht stramm. Und wo der Mensch nicht stramm ist, bringt er nichts weiter.
Und dass man was weiterbringen soll, darf ich jetzt aber bitt’schön als von einer breiten Mehrheit der Leut’ akzeptiert annehmen!
Ich kann der Mehrheit die notwendige Motivationssemantik besorgen.
Ich imaginiere den Namen der Wiener Stadtzeitung »Falter«, die übersetzt »schwanken« heißt. Ich erinnere ein Foto, das den Chefredakteur Armin Thurnher eine britische Tabloid-Zeitung lesend zeigt, auf der steht: »We must not falter!«
Und so rufe ich:
WIR DÜRFEN NICHT SCHWANKEN!
WIR WOLLEN STRAMM SEIN!
Hat man mich gehört? Ich hoffe. Nur sind noch nicht alle mit den Konnotationen zu Luther einverstanden. Ich werde als Kämpfer für Strammheit in Wien mit Luther und seiner nie entluthiferisierten Vergangenheit die Leut nicht zum Rocken bringen.
Ich spreche daher mein strammes Sein aus im Namen »Beethoven«.
Den lieben die Wiener. Und der Träger dieses Namens, Ludwig van Beethoven, war ein Strammer, der auch am Hofe so wild sich betrug, dass man ähnlich den Franzosen angesichts ihres Revolutionspöbels nicht anders konnte, als zu kapitulieren: man bat ihn nicht mehr, das Zeremoniell zu befolgen. Goethe nannte ihn eine »ungebändigte Persönlichkeit«. Wir lassen dies auf uns wirken, forschen nicht weiter nach, und nennen Beethoven stramm.
Den Schwanker, den Falterer, den ontischen Wiener, wie nenne ich ihn?
Schwanker trägt in sich die Buchstabenkonstellation »wank«, »wank« hat das Substantiv »wanker«, und dies bedeutet auf Englisch »Wichser«.
Ich nenne den Schwanker »Wixer«.
Wer trug diesen Namen?
Eine Figur aus dem besten Stück von Nestroy. Einer der drei Freunde (neben Sporner und Stifler) des »Zerrissenen«, Herrn von Lips.
Ich schlage eine beliebige Seite auf; schon wird geschwankt.
»Wixer. Das is das Wahre. Klein muß a G’sellschaft sein, aber honett, nacher is’s a Passion.«
»Wixer (ihre Hand ergreifend). Liebes Handerl das! (...) Was glaubst a so? Stund’ gar nit übel z’samm’, das Paar Händ’?«
»Wixer. Da hab ich, glaub ich, auch was dreinz’reden; Eigenmächtigkeiten leid ich nicht.«
Wie gesagt, meine Argumentation könnte vor allem volkswirtschaftliche offene Ohren finden, da Strammheit wichtig für den Wohlstand ist. Man wird mithilfe meiner Ausführungen etwas Strammes von etwas Schwankendem unterscheiden können.
Ein Strammer stößt das Wort »Sünd« aus; es tost wie op. 92, vierter Satz.
Ein Schwanker sagt zuckersüß-ranzig »Sünd’«; er schmiert.
Wäre ich ein Kolumnist des Presschens, or in fact any columnist, würde ich diesem Satz noch diesen typischen peinlichen letzten Satz aufsetzen: »Er schmiert kursiv.«
Ich behaupte dann: Menschen mit ursprünglichem Sprachbewusstsein können »stramm« sein, Menschen mit schwankendem Sprachbewusstsein nicht. Es liegt im Interesse jedes/r Volks(wirtschaft), in Grundschüler ein ursprüngliches Sprachbewusstsein zu programmieren, um Wohlstand zu erhalten.
Ich lese im Presschen Wörter, die gemäß dem »Wienerischen« lautgeschrieben sind. Ich lese: »Ruh’«, »Freud’«, »Fried’«, »Sünd’«. Dem derzeit korrekten Schriftbild (Ruhe, Freude, Frieden, Sünde) wird getrotzt, und gleichzeitig wird durch die Setzung des Apostrophs gezeigt, dass man trotzt. Dass der Apostroph dazu da ist, Auslassungen zu bedeuten, nutzt der Presschen-Redakteur schamlos aus: Er setzt den Apostroph, um zu zeigen: Wir sprechen unsere eigene Sprache. Wir mögen die Preußen nicht. Wir spielen den Sound unserer schönen österreichischen parole.
Es ist demnach nicht nur ein Norm-Ungehorsam, sondern die Setzung einer neuen Norm, wie die parole autrichienne (die in diesem Fall vom Wienerischen, von Grillparzer über Nestroy und jenseits bestimmt wird) als langue auszusehen habe. Sätze wie »Das ist eine Red’« erzeugen den Mythos des gesprochenen Wienerischen. Genauso wie jemand einmal das Walzerspiel der Wiener Philharmoniker zu mythologisieren versuchte, indem er behauptete, die dritte Viertelnote werde kaum noch angeschlagen, sondern, einem feinen Sahnehäubchen gleich, dem Vorherigen nachgehaucht. Würde man diese Spielart in Partituren vermerken, könnte man einen Apostroph verwenden!
Der Wiener Apostroph – ein Signifikant für heiter Nachtorkelndes, Gemütlichkeit, eine gütige Stimme, Weinseligkeit.
Noch mächtiger ist die Ausstrahlung eines Apostrophs, wenn er im Feuilleton des Presschens steht. Denn das Presschen druckt die Überschriften der großen Artikel, oder ausgesuchte einzelne Wörter, im Feuilleton kursiv, damit unabhängig vom Inhalt der Überschrift ein eigener Mythos des geistreichen Feuilletonisten erzeugt wird.
(Exkurs. Wer sehen will, wie sich der Gott aller nachmodernen Schmetterling-Werbesujets, Vladimir Nabokov, über Journalisten lustig macht, dem sei dieses Video, 4:25–5:11, empfohlen. Nabokov verabscheut »journalistic clichés«, und er verabscheut Schriftsteller, die Wörter kursiv setzen, um tolle Gedanken darzustellen. Das Presschen-Feuilleton, das sich qua Feuilletonsein von journalistischen Klischees fernhalten will, tappt in eine andere Falle.)
Der Mythos des geistreichen Feuilletonisten verstärkt den Mythos aus den Elementen einer süßlich-morbiden »Viennität«.
»Das ist eine Red’«,
oder konsequenter:
»Das is’ eine Red’«
sind dann Das Wienerische.
Überschriften- bzw. Mythenleser werden ungewollt in den Strudel von Wienertum gezerrt. Und dieser Strudel ist nicht das süße Struderl, das Christoph Waltz in »Inglourious Basterds« verzehrt, sondern ein tödlicher Sumpf aus allen Zuckerrüben, die notwendig sind, um den täglichen Zuckerbedarf Wiens und seiner Touristen zu stillen, plus allen toten Körpern, die täglich in die Erde des Wiener Zentralfriedhofs spediert werden.
Man bleibt dergestalt kleben, dass eine Entwicklung zum produktiven Staatsbürger verhindert wird.
Anders gesagt: Man ist eben doch das süße Struderl. Man ist in dem Film ein witziger Einfall, aber allgemein, kulturell-mahlzeitlich betrachtet ist man ein winziges Element, Nachspeise, Epilog. Großer Braten: Macht, Höhepunkt ist man nicht.
Welcher halbwegs kosmokratische österreichische Politiker kann dem zustimmen?
Und wie kann man die zukünftige Generation vor diesem Strudel schützen?
Bei Gott, mit Luther!
Ich lese in Martin Luthers Predigt »über das Eheleben«, dass es eine »Sünd« gebe, und bin sofort aufgegeilt. Wie er das schreibt! So einsilbig! Wie es dasteht! Wie frisch es ist, wie zielstrebig! Wie unzweideutig! So – stramm!
Man sagt, Luther habe den Leuten auf den Mund geschaut – und demnach sah er auf den Mündern (»Münd«?!) das Wort »Sünd«. Nicht »Sünd’«. Also waren die Münd stramm. Die Münd gehörten den Leut. Die Leut waren stramm.
Ich nenne Luthers Skription »ursprünglich«, denn Luther war der erste deutsche Schriftsteller. (Nietzsche und Goethe verehrten ihn diesbezüglich.) Seine Skription ist der Ursprung deutscher Schriftsprache und im Zuge der Literarisierung bis zum Pöbel nachwirkend.
Wende ich mich wieder dem Presschen zu, wird deutlich, dass das Wort »Sünd’« ursprünglich empfunden sein mag, aber nicht ursprünglich geschrieben ist. Sein Ursprung ist das Jetzt. Sein Raum ist Wien.
»Sünd’« zu schreiben ist nach-ursprünglich: dem Sündenfall »Germanisierung des Schriftwesens« bloß folgend. Es ist ein von der Erbschuld, Luthers Deutsch, erfasstes Kind, aber nicht der Zeuger oder die Gebiererin. Luther ist Adam, das Presschen ist Kain. Auf seinem Haupt trägt Kain einen Apostroph.
Wo und wann immer ich das Presschen sehe: der Versager Kain steckt drin, denn Kain schreibt ja diese Zeitung.
(Ich könnte weiterätzen und dem oft die Werbelinie wechselnden Presschen raten, die berühmte, jahrelang mannigfaltig variierte F.A.Z.-Werbung zu remixen: »Dahinter steckt immer ein Versager.«)
Ursprünglich schreibt man »peccatum«, dann kam Luther und schrieb »Sünd«, ihm folgten Leut à la Goethe, Grimm, Duden, die ein »e« hinzufügten. Dem Wiener Presschen-Redakteur bleibt nichts, als sich in seinem Jetzt vom Lauf der Geschichte bisher marginalisiert zu sehen: Denn er kann nicht »Sünd« schreiben, weil er »Sünd’« denkt, und nicht »Sünde« denken, weil er »Sünd’« schreibt.
Ein Kain sein heißt, ein Verlierer zu sein.
Ich versuche, dies »abgekühlt« zu formulieren. (Karl Heinz Bohrer verwendet gerne die Wendung »etwas systemtheoretisch abkühlen«, siehe diesen Kommentar sowie einen Aufsatz über fehlenden Willen zu Strammheit in Merkur, 61. Jg., 8/9, S. 667. Zum Systemtheoretiker bringe ich es nicht, aber »abkühlen« ist eine gute Metapher.)
Ein Nicht-Hochdeutsch-Programmierter empfindet die hochdeutsche Skription als Norm. Empirisch lässt sich feststellen, dass er sich daran hält. Seine von der Norm abweichende Sprache wird er in eine normierte Skription immer nur als Irritation, als ironische Geste, als »Schmäh« einbauen können.
Poetisch lässt sich feststellen, dass ein »Schmäh« nur ein »Schas« (hochdeutsch: Furz) ist.
Erbaulich lässt sich dann sagen:
»Was aber Furz ist, fahre zum Teufel.«
Ein Leben abseits der Skriptionsnorm ist ein Leben außerhalb der herrschenden Klasse. Ein Leben für Loser, Schwächlinge.
Ich will kein Loser sein, und eine Volkswirtschaft braucht keine Schwächlinge.
Nietzsche würde jetzt fragen, hat man mich verstanden?, und ich glaube, das ist ein guter rhetorischer Trick, um Redundanz zu verdecken. Ich fahre also fort:
Als Kain lebt man in einem perpetuierten Pinballsprung (ein Wissenschaftler würde sagen »oszilliert«) zwischen dem eigenen, als »ursprünglich«, und einem anderen, als »legitim ursprünglich« empfundenen Sprechen.
Und weil ja Sprechen Sprache ist, und Sprache, Heidegger und Gadamer auf einmal zitierend, ein »Haus des Seins das verstanden werden kann« ist, befindet sich dieses Sein im Schwanken.
Wo aber das Sein schwankt, ist es nicht stramm. Und wo der Mensch nicht stramm ist, bringt er nichts weiter.
Und dass man was weiterbringen soll, darf ich jetzt aber bitt’schön als von einer breiten Mehrheit der Leut’ akzeptiert annehmen!
Ich kann der Mehrheit die notwendige Motivationssemantik besorgen.
Ich imaginiere den Namen der Wiener Stadtzeitung »Falter«, die übersetzt »schwanken« heißt. Ich erinnere ein Foto, das den Chefredakteur Armin Thurnher eine britische Tabloid-Zeitung lesend zeigt, auf der steht: »We must not falter!«
Und so rufe ich:
WIR DÜRFEN NICHT SCHWANKEN!
WIR WOLLEN STRAMM SEIN!
Hat man mich gehört? Ich hoffe. Nur sind noch nicht alle mit den Konnotationen zu Luther einverstanden. Ich werde als Kämpfer für Strammheit in Wien mit Luther und seiner nie entluthiferisierten Vergangenheit die Leut nicht zum Rocken bringen.
Ich spreche daher mein strammes Sein aus im Namen »Beethoven«.
Den lieben die Wiener. Und der Träger dieses Namens, Ludwig van Beethoven, war ein Strammer, der auch am Hofe so wild sich betrug, dass man ähnlich den Franzosen angesichts ihres Revolutionspöbels nicht anders konnte, als zu kapitulieren: man bat ihn nicht mehr, das Zeremoniell zu befolgen. Goethe nannte ihn eine »ungebändigte Persönlichkeit«. Wir lassen dies auf uns wirken, forschen nicht weiter nach, und nennen Beethoven stramm.
Den Schwanker, den Falterer, den ontischen Wiener, wie nenne ich ihn?
Schwanker trägt in sich die Buchstabenkonstellation »wank«, »wank« hat das Substantiv »wanker«, und dies bedeutet auf Englisch »Wichser«.
Ich nenne den Schwanker »Wixer«.
Wer trug diesen Namen?
Eine Figur aus dem besten Stück von Nestroy. Einer der drei Freunde (neben Sporner und Stifler) des »Zerrissenen«, Herrn von Lips.
Ich schlage eine beliebige Seite auf; schon wird geschwankt.
»Wixer. Das is das Wahre. Klein muß a G’sellschaft sein, aber honett, nacher is’s a Passion.«
»Wixer (ihre Hand ergreifend). Liebes Handerl das! (...) Was glaubst a so? Stund’ gar nit übel z’samm’, das Paar Händ’?«
»Wixer. Da hab ich, glaub ich, auch was dreinz’reden; Eigenmächtigkeiten leid ich nicht.«
Wie gesagt, meine Argumentation könnte vor allem volkswirtschaftliche offene Ohren finden, da Strammheit wichtig für den Wohlstand ist. Man wird mithilfe meiner Ausführungen etwas Strammes von etwas Schwankendem unterscheiden können.
Ein Strammer stößt das Wort »Sünd« aus; es tost wie op. 92, vierter Satz.
Ein Schwanker sagt zuckersüß-ranzig »Sünd’«; er schmiert.
Wäre ich ein Kolumnist des Presschens, or in fact any columnist, würde ich diesem Satz noch diesen typischen peinlichen letzten Satz aufsetzen: »Er schmiert kursiv.«
10.11.2009
Retro-Erbauungen 1
Es gibt mittlerweile bessere Erbauungen als das Lesen. Ich bringe in diesem Beitrag und in kommenden Beiträgen meine Trauer über diese Tatsache zum Ausdruck und versuche, den geschätzten Leser von der Notwendigkeit der Zerstörung der Welt und des Neubezugs alter Höhlen zu überzeugen.
In diesem Beitrag gebe ich einen historischen Überblick über den Verfall des Lesens.
Das literarische Lesen gibt es, wenn es Schriftsteller gibt. Aber Schrift-Steller sind Poeten im Sinne Richard Rortys: Innovatoren des erbaulichen Lebens, Macher (poein) von Neuem, die nicht zwangsläufig auf Schrift angewiesen sind.
Sie brauchen die Schrift nicht mehr. Sie finden seit 200 Jahren im Sog der Techniker bessere Möglichkeiten, Erbauung zu produzieren. Sie haben je die ältere Technik der Erbauung gelernt, z.B. literarisches Lesen. Aber sie bringen diese Erbauung in neue Formen, und die Konsumenten dieser neuen Formen verlernen das Benutzen der alten (= literarisches Lesen).
Wer weiterhin auf das Benutzen der alten Formen besteht, muss zu Klassikern der Formen zurück, wenn er nicht den jeweils neueren Dadawahnsinn goutiert. Hingegen wer die neuen Formen (Film, Oper, Musical, Videospiel) genießt, wird in ihnen die großen Stoffe der Menschheit großartig neu aufbereitet finden. Die Neugier wird belohnt mit köstlichem Genuss.
Zum Beispiel war Stanley Kubrick ein guter Leser. Das Lesen von »Lolita« tat in ihm eine Zauberwelt auf. Er konnte diesen Eindruck nutzen und formen: Er verfilmte den Stoff. Man schaute »Lolita« und konnte Witz und Tragik des Textes von Vladimir Nabokov in gemütlichen zwei Stunden genießen. Ebenso verhält es sich mit einem aktuell gesehenen Poetenpaar: Zemeckis's »Christmas Carol« is better than Dickens's. And by the way, Zemeckis did the trick before: his »Forrest Gump« is better than Winston Groom's.
Ein zweites Beispiel zeigt diesen Vorgang noch ursprünglicher, und zwar durch Hinweis auf die Szenen, die Goethe schrieb, um die Kraft von Bildern darzustellen. Man findet welche in den »Wahlverwandtschaften« (tableaux vivants) und in »Wilhelm Meisters Wanderjahre« (Galerie). Goethe war fasziniert von der audiovisuellen, »lebendigen« Darstellung von Ideen. Goethe wäre heute ein Filmemacher.
Die Poeten verlassen die Schrift. Das Publikum zieht mit. Ein lesender »Potter«-Pöbel und nur wenige »good readers« bleiben zurück. Am literarischen Lesen setzt Verfall ein.
Philip Roth, einer der am meisten bewunderten Schriftsteller unserer Zeit, nennt Literatur ein »great lost human cause«; er erwartet das Ende des Verfalls in 20 bis 25 Jahren, wenn niemand mehr gute Romane lesen werde. Weisheit geht verloren, da niemand mehr sie zu entdecken, zu lesen imstande ist.
In diesem Beitrag gebe ich einen historischen Überblick über den Verfall des Lesens.
Das literarische Lesen gibt es, wenn es Schriftsteller gibt. Aber Schrift-Steller sind Poeten im Sinne Richard Rortys: Innovatoren des erbaulichen Lebens, Macher (poein) von Neuem, die nicht zwangsläufig auf Schrift angewiesen sind.
Sie brauchen die Schrift nicht mehr. Sie finden seit 200 Jahren im Sog der Techniker bessere Möglichkeiten, Erbauung zu produzieren. Sie haben je die ältere Technik der Erbauung gelernt, z.B. literarisches Lesen. Aber sie bringen diese Erbauung in neue Formen, und die Konsumenten dieser neuen Formen verlernen das Benutzen der alten (= literarisches Lesen).
Wer weiterhin auf das Benutzen der alten Formen besteht, muss zu Klassikern der Formen zurück, wenn er nicht den jeweils neueren Dadawahnsinn goutiert. Hingegen wer die neuen Formen (Film, Oper, Musical, Videospiel) genießt, wird in ihnen die großen Stoffe der Menschheit großartig neu aufbereitet finden. Die Neugier wird belohnt mit köstlichem Genuss.
Zum Beispiel war Stanley Kubrick ein guter Leser. Das Lesen von »Lolita« tat in ihm eine Zauberwelt auf. Er konnte diesen Eindruck nutzen und formen: Er verfilmte den Stoff. Man schaute »Lolita« und konnte Witz und Tragik des Textes von Vladimir Nabokov in gemütlichen zwei Stunden genießen. Ebenso verhält es sich mit einem aktuell gesehenen Poetenpaar: Zemeckis's »Christmas Carol« is better than Dickens's. And by the way, Zemeckis did the trick before: his »Forrest Gump« is better than Winston Groom's.
Ein zweites Beispiel zeigt diesen Vorgang noch ursprünglicher, und zwar durch Hinweis auf die Szenen, die Goethe schrieb, um die Kraft von Bildern darzustellen. Man findet welche in den »Wahlverwandtschaften« (tableaux vivants) und in »Wilhelm Meisters Wanderjahre« (Galerie). Goethe war fasziniert von der audiovisuellen, »lebendigen« Darstellung von Ideen. Goethe wäre heute ein Filmemacher.
Die Poeten verlassen die Schrift. Das Publikum zieht mit. Ein lesender »Potter«-Pöbel und nur wenige »good readers« bleiben zurück. Am literarischen Lesen setzt Verfall ein.
Philip Roth, einer der am meisten bewunderten Schriftsteller unserer Zeit, nennt Literatur ein »great lost human cause«; er erwartet das Ende des Verfalls in 20 bis 25 Jahren, wenn niemand mehr gute Romane lesen werde. Weisheit geht verloren, da niemand mehr sie zu entdecken, zu lesen imstande ist.
06.11.2009
Wie ich mich im Studentenpöbel aufputschte
Generell: Um mich aufzuputschen trink ich in meiner Wohnung eine Flasche Wein, schließ mich an die Kopfhörer und dresch mir zwanzig geile Lieder rein.
Braucht es mehr? Gewisse Teile meines Hirns oder meiner Seele sagen ja. Eine abgefuckte platonisch-moralische Stelle sagt: »Sei dabei bei einem großen Aufputschen!« Ihr folgt der Aufruf meiner erbärmlichen, nie upgedateten Englisch-Software, die mir all die Obama-Momente vorspielt, die so fake sind wie die Mondlandung, und mir versichern, ich werde dabei sein, wenn »history in the making!« ist. Dann mein kategorischer Imperativ will mir wieder den Schwanz aufblasen, damit er größer wird als jener der 68er-Generation, und es ist beschlossen. Ich gehe.
Ich verlasse mein Reich, begebe mich in die schäbige Pöbelwelt, um meine schlechteren Selbsts eines Besseren zu belehren: ihnen zu zeigen: es macht keinen Spaß, auf ne Demo zu gehen; Zeit für verlorene Ideale zu verlieren; vom Eisbären vergewaltigt zu werden; mein Geld von der Wurst-, Fleischballen-, Punschindustrie aus der Tasche gezogen zu bekommen.
Wie lief es? Versöhnlich. Es gab bei der Schlusskundgebung im Wiener Märzpark ein paar aufputschende Momente.
* Nach politischen Reden spielten die Attwenger. Wie ich, der intelligente Teil von mir, erwartet hatte, eröffneten sie mit »Ka Klakariada«; ihr Hit musste, anders als bei reinen Konzerten, gleich zu Beginn her.
Das Lied ist eine Litanei gegen den Common Sense; beim deutschen Namen genannt wird er in diesen Zeilen:
»Wenn [kleinkarierte Leute] ein Problem haben, und sie kommen durcheinand’, / dann kommen sie mit dem Ärgsten, und das ist der Hausverstand.«
Pöbel applaudierte, und ich fand’s auch stark, wie immer, wenn ich dieses Lied höre. Und ich höre es nur selten, damit ich es immer stark finde.
Es ist Therapie. Man bringt tanzend (ich schöner Geist: nur imaginierend) seinen Körper in Einklang mit der kraftvollen Musik und wird Eins mit dem Schlagzeugersänger: dem 46-jährigen, aber immer noch so »like, youthful« wirkenden Markus Binder. Wir trommeln ekstatisch und wünschen der Menschheit, in ihrer Scheiße zu ersticken, und indem wir das tun, befreien wir uns von ihr. (Erbärmliches Deutsch. Von der Menschheit befreit oder von der Scheiße?)
* Die Reden selbst waren voller Hausverstand; voller Solidarität, voller Anti-Kapitalismus, -Sexismus, -Rassismus –––– voll von Abstraktion, von Wörterbucheinträgen.
Solidarität bedeutet »Zusammengehörigkeitsgefühl«.
Rassismus bedeutet – keine Ahnung!!! Das steht in meinem Wörterbuch nicht. Das find ich witzig. Mein »Deutsches Bildwörterbuch für jedermann« von Brockhaus ist aus dem Jahr 1940. Weil ich hab nicht viel Geld, ich kann mir nur ein abgefucktes Wurmfraßwörterbuch beim abgefuckten Antiquaren leisten. Jetzt haben sie 1940 Begriffe gedruckt. Da war der Rassismus en vogue, war lebendig, und demnach brauchtest du ihn nicht im Wörterbuch definieren. Und demnach lebt der Rassismus heutzutage nicht, weil heute steht er ja im Wörterbuch; und er ist in aller Redner Munde, an diesem Abend: der Hausverstand ist ihr einflüsternder Beistand.
* Weg vom Hausverstand! Weg mit dem Hausverstand! Das Geile an dem Attwenger-Song ist ja die Aggressivität: Mr Common Sense wird mit Pisse getränkt und in die Luft gesprengt.
Wenn ich mich an diesen Abend zurückerinnere und mein tadelloses Gedächtnis verweigert die Herausgabe von Hausverstandsinhalten, bleiben nur wenige aufputschende Punkte über, die es während der politischen Reden gab:
* Ein Aktivist, namens »Ben«, aus Deutschland, sprach flott. Er rief: »In Deutschland brennen die Unis!«, und wie er das gesagt hat, und im Schwall seiner rausfetzenden Worte, verstand ich das, als ob ein Feuersturm aus Wien, über österreichische Provinz, nach Deutschland hinfegend, dies verursacht habe.
Das war geil, und ich bekenne, meine vom vielen Naziunterricht und Nazitratsch und Nazichic versaute Fantasie – unfähig, eine Vorstellung ohne Naziges hervorzubringen – erarbeitete eine Story – we neuroscientists call them »constructs« –, in der dieses Mal der Deutsche nach Österreich kommt, in Österreich aufsteigt, Österreicher wird, und Deutschland an Österreich anschließt. ––– (Dieser Gedanke kommt mir einmal pro Woche; wird noch lange so kommen; bis er Wirklichkeit wird. Aber ich verspreche, ich schreibe das hiermit zum ersten und letzten Mal auf.)
* Eine feministische Lesbe – als welche sie und zwei Kolleginnen offiziell vorgestellt wurden und auftraten!!! – forderte verpflichtende Auseinanersetzung (auf der Uni, was es, z.B. in der Germanistik, schon gibt) mit feministischen Inhalten. Sie sprach davon, dass der Sexismus schuld daran sei, dass viele Frauen verunsichert seien.
Was, die hat mich aufgeputscht? Ja! Mir gefiel ihre Inszenierung ihrer eigenen Unsicherheit: inmitten eines (von einem zerschnudelten Blatt Papier abgelesenen) Satzes tat sie so, als bringe sie ein Wort nicht heraus; sie setzte erneut an, es zu sagen; sie scheiterte; sie versuchte es wieder; sie versprach sich wieder; wieder; wieder ––– und sagte endlich: »Wurscht!« und fuhr mit dem nächsten Wort fort. Alles hat ein Ende, und »Wurscht!« ist von allen Wörtern dieser Lesbe das Ende!
* Eine attraktive Taubstumme trat auf. Man begrüßte sie mit der stillen Gebärde für Applaus: über dem Kopf raschelnde Hände. Sie war sehr hübsch, mit langem blonden Haar, dunkelgrüner Jacke, in guter Form; und beinahe hätte auch ich geraschelt (ich hatte mir geschworen, nie zu klatschen oder sonstige Zustimmung zu geben). Sie begann. Sie stand unter Spannung. Sie war nicht nervös. Sie redete eifrig. Sie setzte ihre Hände und Arme wie Waffen ein. Sie bewegte sich wie ein Slalomprofi. Sie boxte Worte. Sie redete rappend. Ich meine das nicht ironisch. Sie war super. Aus ihrer Rede strömte Kraft. Nach jedem Statement hielt sie inne, erwartete Applaus; das Dolmetsch humpelte nach, war nie fertig mit dem In-Worte-Fassen; schon streckte sie die Arme nach unten, mit den Händen, the palms of which were challengingly directed toward the people, nach oben fahrend; mit dieser Bewegung Applaus hervorziehen, das Ausbrechen von Applaus beschleunigen wollend; ––– sie war bewegend und mitreißend.
* Das Dolmetsch, ihre Übersetzerin, sprach anfangs zu leise ins Mikrophon, das ja auch dazu gedacht ist, das Kleine (mikron) zum Tönen (phonein) zu bringen.
»Lauter!«, schrie wer, und einige schmunzelten über die Ironie der Situation: Die lautlose Rednerin konnte ja nichts, in unserem Sinne, hören, und auch keine schönen Töne produzieren; das »Lauter!« galt natürlich dem Dolmetsch. Aber die Ironie schlägt zu: Für eine Hundertsel Sekunde denke ich, dieses »Lauter!« gilt der Stummen, und ebenso lange hoffe ich, dass sie es erhört, sich ein Herz fasst, und anfängt, zu sprechen, »echt« zu sprechen! ––– Nur: das Furchtbare an der Situation: ihre stille Rede, die Dynamik ihres Körpers, die blitzschnell sich windenden, Figuren zeichnenden Hände, ihr Mund, der das Gesagte stumm interpunktiert, – diese stille Rede kann man nicht in gesprochene Sprache, parole, übersetzen!!!
* Daher schließe ich mich einer Forderung der Taubstummen an: Minister und Unis, stellt taubstummes Lehrpersonal an. Ob es dann, wie immer, nicht nur gute Redner geben wird?
Braucht es mehr? Gewisse Teile meines Hirns oder meiner Seele sagen ja. Eine abgefuckte platonisch-moralische Stelle sagt: »Sei dabei bei einem großen Aufputschen!« Ihr folgt der Aufruf meiner erbärmlichen, nie upgedateten Englisch-Software, die mir all die Obama-Momente vorspielt, die so fake sind wie die Mondlandung, und mir versichern, ich werde dabei sein, wenn »history in the making!« ist. Dann mein kategorischer Imperativ will mir wieder den Schwanz aufblasen, damit er größer wird als jener der 68er-Generation, und es ist beschlossen. Ich gehe.
Ich verlasse mein Reich, begebe mich in die schäbige Pöbelwelt, um meine schlechteren Selbsts eines Besseren zu belehren: ihnen zu zeigen: es macht keinen Spaß, auf ne Demo zu gehen; Zeit für verlorene Ideale zu verlieren; vom Eisbären vergewaltigt zu werden; mein Geld von der Wurst-, Fleischballen-, Punschindustrie aus der Tasche gezogen zu bekommen.
Wie lief es? Versöhnlich. Es gab bei der Schlusskundgebung im Wiener Märzpark ein paar aufputschende Momente.
* Nach politischen Reden spielten die Attwenger. Wie ich, der intelligente Teil von mir, erwartet hatte, eröffneten sie mit »Ka Klakariada«; ihr Hit musste, anders als bei reinen Konzerten, gleich zu Beginn her.
Das Lied ist eine Litanei gegen den Common Sense; beim deutschen Namen genannt wird er in diesen Zeilen:
»Wenn [kleinkarierte Leute] ein Problem haben, und sie kommen durcheinand’, / dann kommen sie mit dem Ärgsten, und das ist der Hausverstand.«
Pöbel applaudierte, und ich fand’s auch stark, wie immer, wenn ich dieses Lied höre. Und ich höre es nur selten, damit ich es immer stark finde.
Es ist Therapie. Man bringt tanzend (ich schöner Geist: nur imaginierend) seinen Körper in Einklang mit der kraftvollen Musik und wird Eins mit dem Schlagzeugersänger: dem 46-jährigen, aber immer noch so »like, youthful« wirkenden Markus Binder. Wir trommeln ekstatisch und wünschen der Menschheit, in ihrer Scheiße zu ersticken, und indem wir das tun, befreien wir uns von ihr. (Erbärmliches Deutsch. Von der Menschheit befreit oder von der Scheiße?)
* Die Reden selbst waren voller Hausverstand; voller Solidarität, voller Anti-Kapitalismus, -Sexismus, -Rassismus –––– voll von Abstraktion, von Wörterbucheinträgen.
Solidarität bedeutet »Zusammengehörigkeitsgefühl«.
Rassismus bedeutet – keine Ahnung!!! Das steht in meinem Wörterbuch nicht. Das find ich witzig. Mein »Deutsches Bildwörterbuch für jedermann« von Brockhaus ist aus dem Jahr 1940. Weil ich hab nicht viel Geld, ich kann mir nur ein abgefucktes Wurmfraßwörterbuch beim abgefuckten Antiquaren leisten. Jetzt haben sie 1940 Begriffe gedruckt. Da war der Rassismus en vogue, war lebendig, und demnach brauchtest du ihn nicht im Wörterbuch definieren. Und demnach lebt der Rassismus heutzutage nicht, weil heute steht er ja im Wörterbuch; und er ist in aller Redner Munde, an diesem Abend: der Hausverstand ist ihr einflüsternder Beistand.
* Weg vom Hausverstand! Weg mit dem Hausverstand! Das Geile an dem Attwenger-Song ist ja die Aggressivität: Mr Common Sense wird mit Pisse getränkt und in die Luft gesprengt.
Wenn ich mich an diesen Abend zurückerinnere und mein tadelloses Gedächtnis verweigert die Herausgabe von Hausverstandsinhalten, bleiben nur wenige aufputschende Punkte über, die es während der politischen Reden gab:
* Ein Aktivist, namens »Ben«, aus Deutschland, sprach flott. Er rief: »In Deutschland brennen die Unis!«, und wie er das gesagt hat, und im Schwall seiner rausfetzenden Worte, verstand ich das, als ob ein Feuersturm aus Wien, über österreichische Provinz, nach Deutschland hinfegend, dies verursacht habe.
Das war geil, und ich bekenne, meine vom vielen Naziunterricht und Nazitratsch und Nazichic versaute Fantasie – unfähig, eine Vorstellung ohne Naziges hervorzubringen – erarbeitete eine Story – we neuroscientists call them »constructs« –, in der dieses Mal der Deutsche nach Österreich kommt, in Österreich aufsteigt, Österreicher wird, und Deutschland an Österreich anschließt. ––– (Dieser Gedanke kommt mir einmal pro Woche; wird noch lange so kommen; bis er Wirklichkeit wird. Aber ich verspreche, ich schreibe das hiermit zum ersten und letzten Mal auf.)
* Eine feministische Lesbe – als welche sie und zwei Kolleginnen offiziell vorgestellt wurden und auftraten!!! – forderte verpflichtende Auseinanersetzung (auf der Uni, was es, z.B. in der Germanistik, schon gibt) mit feministischen Inhalten. Sie sprach davon, dass der Sexismus schuld daran sei, dass viele Frauen verunsichert seien.
Was, die hat mich aufgeputscht? Ja! Mir gefiel ihre Inszenierung ihrer eigenen Unsicherheit: inmitten eines (von einem zerschnudelten Blatt Papier abgelesenen) Satzes tat sie so, als bringe sie ein Wort nicht heraus; sie setzte erneut an, es zu sagen; sie scheiterte; sie versuchte es wieder; sie versprach sich wieder; wieder; wieder ––– und sagte endlich: »Wurscht!« und fuhr mit dem nächsten Wort fort. Alles hat ein Ende, und »Wurscht!« ist von allen Wörtern dieser Lesbe das Ende!
* Eine attraktive Taubstumme trat auf. Man begrüßte sie mit der stillen Gebärde für Applaus: über dem Kopf raschelnde Hände. Sie war sehr hübsch, mit langem blonden Haar, dunkelgrüner Jacke, in guter Form; und beinahe hätte auch ich geraschelt (ich hatte mir geschworen, nie zu klatschen oder sonstige Zustimmung zu geben). Sie begann. Sie stand unter Spannung. Sie war nicht nervös. Sie redete eifrig. Sie setzte ihre Hände und Arme wie Waffen ein. Sie bewegte sich wie ein Slalomprofi. Sie boxte Worte. Sie redete rappend. Ich meine das nicht ironisch. Sie war super. Aus ihrer Rede strömte Kraft. Nach jedem Statement hielt sie inne, erwartete Applaus; das Dolmetsch humpelte nach, war nie fertig mit dem In-Worte-Fassen; schon streckte sie die Arme nach unten, mit den Händen, the palms of which were challengingly directed toward the people, nach oben fahrend; mit dieser Bewegung Applaus hervorziehen, das Ausbrechen von Applaus beschleunigen wollend; ––– sie war bewegend und mitreißend.
* Das Dolmetsch, ihre Übersetzerin, sprach anfangs zu leise ins Mikrophon, das ja auch dazu gedacht ist, das Kleine (mikron) zum Tönen (phonein) zu bringen.
»Lauter!«, schrie wer, und einige schmunzelten über die Ironie der Situation: Die lautlose Rednerin konnte ja nichts, in unserem Sinne, hören, und auch keine schönen Töne produzieren; das »Lauter!« galt natürlich dem Dolmetsch. Aber die Ironie schlägt zu: Für eine Hundertsel Sekunde denke ich, dieses »Lauter!« gilt der Stummen, und ebenso lange hoffe ich, dass sie es erhört, sich ein Herz fasst, und anfängt, zu sprechen, »echt« zu sprechen! ––– Nur: das Furchtbare an der Situation: ihre stille Rede, die Dynamik ihres Körpers, die blitzschnell sich windenden, Figuren zeichnenden Hände, ihr Mund, der das Gesagte stumm interpunktiert, – diese stille Rede kann man nicht in gesprochene Sprache, parole, übersetzen!!!
* Daher schließe ich mich einer Forderung der Taubstummen an: Minister und Unis, stellt taubstummes Lehrpersonal an. Ob es dann, wie immer, nicht nur gute Redner geben wird?
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