27.07.2011

Lasse Kjus Demokratie

Norwegens Schifahrer Lasse Kjus ist zur Vorbereitung auf die Weltcupsaisons mit Schistöcken durch die Moore seiner Heimat gestapft. Bilder in einem Sportprogramm des ORF zeigten ihn einmal mit erstaunlicher Geschwindigkeit sich durch oberschenkelhohes dichtes Erdreich bewegen und zu einem »Kraftpaket« werden. Ich erinnere mich an diese Bilder, als ich die Äußerung des norwegischen Staatssekretärs Eide nach dem Massenmord von Utoya lese:

»Dieser Mann wollte unsere Art zu leben verändern. Aber das lassen wir nicht zu. Wir wollen uns nicht von einem Einzelgänger diktieren lassen, wie die norwegische Gesellschaft in Zukunft auszusehen hat. Deswegen wollen wir so weitermachen wie bis zum vergangenen Freitag: als eine tolerante und transparente Gesellschaft. Das ist meine tiefe Überzeugung.«

Im Gegensatz dazu: was haben Politiker in Österreich zu sagen? Lest es. Merkt euch diesen Schwachsinn. Stellt euch vor: Mikl-Leitner, Faymann, Spindelegger in einem Moor: sie würden stehen bleiben und sich anscheißen.

25.07.2011

DMD KIU LIDT: Bescheidene Kritik I

Die meisten Rezensionen der Platte »DMD KIU LIDT« von Ja, Panik haben mich mit ihrer Großkotzigkeit und ihrer Nachplapperei so verstört, dass ich eine Serie starte, in der ich kleine Bestandteile der Lieder lobe.
Für eine Community wäre soundcloud.com am besten für diese Art der Fan-Anerkennung geeignet: dort kann man Kommentare an beliebige Stellen eines Liedes setzen. Bei guter Teilnahme wird so eines Gutteils eines Werkes Rechnung getragen. (Dann erst wäre es an der Zeit für einen Synthetiker, mit dem Metapflug drüberzufahren.)
Treten wir dem »over-sophisticated Pop-Diskursler« mit der Haltung bescheidener Anerkennung entgegen.

1) Textstelle:

»Ich hab verprasst was es gab zu verprassen«
»Es ist der Teufel hier am Werk« –

das find ich eine gelungene Wortstellung.

2) Schlagzeug:

»The Horror« super, in der zweiten Strophe die Chorstimmen schön und aufwallend, aber womöglich der Schlagzeugrhythmus zu einfältig.

3) Atonalität:

Beim ersten Hören klang dieser »that is why...«-Akkord in der vorletzten Wiederholung des Refrains von »Time Is On My Side« zunächst erfrischend atonal. (Ist es aber nicht.)

Wien gehört vergrößert

Bin zur Zeit in China und habe erst neulich mir den Weg durch die Große Feuermauer gebahnt. Bis dahin hatte ich mich dazu herabgelassen, auf diepresse.com Kommentare zu verfassen.


Von diesen Perlen in der Sau erscheint mir nach wie vor interessant: mein »policy«-Vorschlag für ein schöneres St. Pölten und ein mächtigeres Wien, anlässlich eines Artikels, der die im Jenseits liegende Landeshauptstadt mit den üblichen Hinweisen auf zwei drei »urbane« Schauplätze schönzureden trachtete. Hier neu gepostet:



St. Pöltens Institutionen gehören nach Wien


Die genannten Institutionen geben dem St. Pöltener Gulasch nicht viel Saft und gehen anderswo ab. Wie bereichert wäre Wien, wenn es ein weiteres Theater- und Konzerthaus (Landestheater NÖ), das Tonkünstlerorchester, das Cinema Paradiso und noch mehr Studenten hätte!

All diese Institutionen und die Landespolitik sollten nach Wien (zurück)ziehen. Die verbliebenen Regierungs- und Fachhochschulgebäude könnten in Altersheime verwandelt, St. Pölten das Zentrum des deutschsprachigen Raums für alte Leute mit bescheidenem Vermögen werden. »Pensionisten-Kompetenzzentrum« würde es ein Bürokrat nennen, aber das wäre überflüssig. Es reicht, auf die Bedeutung des Stadtnamens hinzuweisen. St. Pöltens Namenspatron, der heilige Hippolyt, wird laut Wikipedia »bei Altersschwäche« angerufen: Nomen es omen, semper et ubique, herr berndschiller.

Aus folgenden Gründen hätte das Sinn:
• Glanzstoff is gone – es stinkt nicht mehr, man kann die Stadt in ein schönes ruhiges »niederösterreichisches Florida« für Rentner verwandeln.
• Es wäre immer noch eine Stadt, d.h. dicht genug besiedelt, um Gesundheitseinrichtungen rentabel zu machen und alte Leute vor Einsamkeit zu bewahren.

Das ist meine aufrichtige Meinung und, wie ich finde, ein super, kostenloser Vorschlag für ein politisches Programm – einerseits zur Förderung des Weltstadtrufes Wiens und andererseits zur Nutzung St. Pöltens.




Powerpoint ist nur ein Altar

Hier gehts zum Versuch des amerikanischen Literaturwissenschaftlers bayerischer Herkunft, Hans Ulrich Gumbrechts, aus altmodischer, nicht positivistischer Perspektive das »körperlose« Denken, Arbeiten und Leben im »Silicon Valley«-Zeitalter zu beschreiben, ohne in Kulturkritik zu verfallen.

Mitschriften einzig in digitaler Form auf dem Laptop gesammelt zu haben, vor einer Wortmeldung schnell Fakten in der Wikipedia nachzuschauen etc. – diese gut bekannten Facetten des »ausgelagerten Gedächtnisses« gehöre einer »reinen Spiritualität« an, die nicht Raum- und Zeit-gebunden ist und sozusagen das Wesen dieses Zeitalters ist.

Gumbrecht ist seit den späten 1980ern Amerikaner. Er schreibt für Deutsche wohlwollend über Amerika; amerikanischen Elitestudenten versucht er die kontinentaleuropäische Philosophie zu eröffnen.

Gerne weist er darauf hin, dass er das in der Geburtsstätte des gegenwärtigen Zeitalters tut, auf der Stanford University. Was ja auch wirklich eine coole »Marktpositionierung« eines Professors aus Deutschland ist, weil nach Heidegger noch einmal sich als Hüttenmensch aufführen wäre ja eine Farce.

Im verlinkten Blogeintrag zeigt sich die Klugheit eines Denkers, der sein Urteil fällt, erst wenn er eine Sache von mehreren Seiten bedacht hat und ihm ein denkerischer Einfall gekommen ist. So kann man vermeiden, zum Leitartikler zu werden, der mechanisch seine Argumentationen ausspinnt. Der denkerische Einfall Gumbrechts in der Silicon Vally Thematik ist eben die »Spiritualität«.

Aber zu unausgegoren! Zumal Gumbrecht gar nicht versucht, seine persönliche Abschiedsmelancholie zu übertünchen, die ihn langsam überkommt (er hat bereits das Datum seiner Emeritierung festgesetzt). Seine Anekdote über eine karrieristische Stipendiatin kommt in etwas angeekeltem Ton daher, und vorsichtig stellt er sich am Ende die große Frage, »ob wir so leben wollen«.

Wenn er doch bloß auf Facebook wäre! und diese Frage in den unwirklichen, wasser-, körperlosen Strom (FB-Stream!) geworfen hätte – hätte ich »like« gedrückt und kommentiert:

Also ich will irgendwie nicht so leben, aber es ist halt so. Zumindest bei mir Halbtrottel. Demgemäß beende ich diesen Eintrag mit einem Link –

auf einen Vortrag Gumbrechts mit angewandtem »riskanten Denken«. Er ist nicht mehr direkt über das FRIAS erreichbar, sondern über iTunes.

Typen wie ich sind halt selber nicht mehr fähig, »im Denken Fundamentales hervorzubringen« und dann in langen Vorträgen eine staunende Jüngergemeinde einzuweben, die sich in der Folge ein Leben lang bemüht, den aufgebundenen Bären loszuwerden.

Aber immerhin gibt es die unterhaltsamen Keynotespeaker, die sich die Wahrheiten klug zusammensuchen und »intriguing« wiedergeben können. Ich schreibe »intriguing«, weil man in der Californication das so sagt. Da lässt man sich gerne »intriguen«, unverbindlich. Mit dem Wort »fesselnd« wäre ich wieder in der oben ausgeführten Metaphorik gelandet, die Differenz ginge verloren.

Durch Keynotespeaker werden sowohl aktuelle Fachdiskurse verbreitet als auch moderne Klassiker wie Peter Drucker und die großen alten Philosophen hervorgeholt. In der Erinnerung, wie Denken »ging« und worin es gipfelte und in der Präsentation aktuellen szientistischen Denkens kommen wir zwar selber nicht ins Denken (wie Heidegger es gewollt hätte), aber zumindest ins Nachdenken.

Gumbrecht hat in einem anderen Kontext einmal die Figur des »Kurators« als Hauptakteur in der Zurschaustellung von Denken beschrieben.

Kurator, Keynotespeaker – diese schmierigen »in a nutshell«-Typen sind Verkörperungen, und die Leinwände, auf die sie ihre Powerpointpräsentationen werfen, treten doch deutlich als Etwas zutage – ich denke dabei an die Form des katholischen Altars in der Kirche. Den kann man ja auch Heiligen für Heiligen durchgehen.

Indem dieser Typus viel Geld verdienen kann, bleibt er beneidens- und nachahmungswert, und es werden sich Nachfolger finden, und damit werden sich Verhöhner finden. Diese Verhöhner können dann die Nachfolge des »Denkers« antreten. Wie der Erfolg des in Gesprächen nach Vorträgen fesselnd langsam sprechenden Peter Sloterdijk zeigt, können sogar diese »Denker« viel Geld verdienen.

Hiermit halte ich an der Hölderegger-Doktrin fest, dass es einen Notausgang aus der Scheiße gibt.

22.07.2011

Graffiti unter Denkmalschutz

Müssen wir immer alles mit Sinn anfüllen? Jeden Quadratzentimeter Welt besamen? Plattgedrückte Kaugummis kleben lassen, nur weil jemand eine nette Zeichnung draufgemalt und »street art« dazu gesagt hat?

Ja, wir müssen. Der Westen verwandelt sich in eine einzige Tourismusstätte. Alles wird zum Museum, alles unter Denkmalschutz gestellt. Aus Allem weht ein heiliger Hauch; wir sind postmoderne Augustiner.

Wir sind halt einfach nicht so cool wie die Chinesen aus der armen Maozeit, die mit Pinsel und Wasser Schriftzeichen auf die Straßen malen (ohne sie vor dem Verschwinden zu fotografieren und sie danach, wie Ben Wilson, in einer [Flickr-] Galerie zu verewigen). Und Kaugummiwegschaber gibt es bei uns auch keine.

Der Vorsitzende eines islamischen Kulturzentrums in Bristol ließ ein Affengraffiti des mittlerweile weithin bekannten street artists Banksy übermalen. Es folgte ein Aufschrei in der Kunstwelt, eine Entschuldigung des unbedarften Muslims, und der Versuch einer Restaurierung. Was man bislang eher bei Kathedralen, Kapellen und der Akropolis und so gewohnt ist.

Dieser Blogger verleiht im Cyberspace den, sagen wir, »Legalisten« eine Stimme, die Graffiti als kriminellen Akt sehen und die Zuordnung ins Kunstsystem verweigern.