Hier gehts zum Versuch des amerikanischen Literaturwissenschaftlers bayerischer Herkunft, Hans Ulrich Gumbrechts, aus altmodischer, nicht positivistischer Perspektive das »körperlose« Denken, Arbeiten und Leben im »Silicon Valley«-Zeitalter zu beschreiben, ohne in Kulturkritik zu verfallen.
Mitschriften einzig in digitaler Form auf dem Laptop gesammelt zu haben, vor einer Wortmeldung schnell Fakten in der Wikipedia nachzuschauen etc. – diese gut bekannten Facetten des »ausgelagerten Gedächtnisses« gehöre einer »reinen Spiritualität« an, die nicht Raum- und Zeit-gebunden ist und sozusagen das Wesen dieses Zeitalters ist.
Gumbrecht ist seit den späten 1980ern Amerikaner. Er schreibt für Deutsche wohlwollend über Amerika; amerikanischen Elitestudenten versucht er die kontinentaleuropäische Philosophie zu eröffnen.
Gerne weist er darauf hin, dass er das in der Geburtsstätte des gegenwärtigen Zeitalters tut, auf der Stanford University. Was ja auch wirklich eine coole »Marktpositionierung« eines Professors aus Deutschland ist, weil nach Heidegger noch einmal sich als Hüttenmensch aufführen wäre ja eine Farce.
Im verlinkten Blogeintrag zeigt sich die Klugheit eines Denkers, der sein Urteil fällt, erst wenn er eine Sache von mehreren Seiten bedacht hat und ihm ein denkerischer Einfall gekommen ist. So kann man vermeiden, zum Leitartikler zu werden, der mechanisch seine Argumentationen ausspinnt. Der denkerische Einfall Gumbrechts in der Silicon Vally Thematik ist eben die »Spiritualität«.
Aber zu unausgegoren! Zumal Gumbrecht gar nicht versucht, seine persönliche Abschiedsmelancholie zu übertünchen, die ihn langsam überkommt (er hat bereits das Datum seiner Emeritierung festgesetzt). Seine Anekdote über eine karrieristische Stipendiatin kommt in etwas angeekeltem Ton daher, und vorsichtig stellt er sich am Ende die große Frage, »ob wir so leben wollen«.
Wenn er doch bloß auf Facebook wäre! und diese Frage in den unwirklichen, wasser-, körperlosen Strom (FB-Stream!) geworfen hätte – hätte ich »like« gedrückt und kommentiert:
Also ich will irgendwie nicht so leben, aber es ist halt so. Zumindest bei mir Halbtrottel. Demgemäß beende ich diesen Eintrag mit einem Link –
auf einen Vortrag Gumbrechts mit angewandtem »riskanten Denken«. Er ist nicht mehr direkt über das FRIAS erreichbar, sondern über iTunes.
Typen wie ich sind halt selber nicht mehr fähig, »im Denken Fundamentales hervorzubringen« und dann in langen Vorträgen eine staunende Jüngergemeinde einzuweben, die sich in der Folge ein Leben lang bemüht, den aufgebundenen Bären loszuwerden.
Aber immerhin gibt es die unterhaltsamen Keynotespeaker, die sich die Wahrheiten klug zusammensuchen und »intriguing« wiedergeben können. Ich schreibe »intriguing«, weil man in der Californication das so sagt. Da lässt man sich gerne »intriguen«, unverbindlich. Mit dem Wort »fesselnd« wäre ich wieder in der oben ausgeführten Metaphorik gelandet, die Differenz ginge verloren.
Durch Keynotespeaker werden sowohl aktuelle Fachdiskurse verbreitet als auch moderne Klassiker wie Peter Drucker und die großen alten Philosophen hervorgeholt. In der Erinnerung, wie Denken »ging« und worin es gipfelte und in der Präsentation aktuellen szientistischen Denkens kommen wir zwar selber nicht ins Denken (wie Heidegger es gewollt hätte), aber zumindest ins Nachdenken.
Gumbrecht hat in einem anderen Kontext einmal die Figur des »Kurators« als Hauptakteur in der Zurschaustellung von Denken beschrieben.
Kurator, Keynotespeaker – diese schmierigen »in a nutshell«-Typen sind Verkörperungen, und die Leinwände, auf die sie ihre Powerpointpräsentationen werfen, treten doch deutlich als Etwas zutage – ich denke dabei an die Form des katholischen Altars in der Kirche. Den kann man ja auch Heiligen für Heiligen durchgehen.
Indem dieser Typus viel Geld verdienen kann, bleibt er beneidens- und nachahmungswert, und es werden sich Nachfolger finden, und damit werden sich Verhöhner finden. Diese Verhöhner können dann die Nachfolge des »Denkers« antreten. Wie der Erfolg des in Gesprächen nach Vorträgen fesselnd langsam sprechenden Peter Sloterdijk zeigt, können sogar diese »Denker« viel Geld verdienen.
Hiermit halte ich an der Hölderegger-Doktrin fest, dass es einen Notausgang aus der Scheiße gibt.