Die Lektüre zum Gesang von Nino aus Wien: Peter Sloterdijk:
Nicht oft genug kann man nach Venedig fahren, wenn man wissen will, was Italien und Europa bevorsteht. Die Stadt verkörpert die Lektion, daß langsame Dekadenz das größte Privileg ist. Falls Dekadenzbeschleuniger auftreten, Berlusconi ist ein solcher, wird der sanfte Abstieg zum Sturz. Es könnte passieren, daß vom schönen Italien in Kürze nicht mehr übrigbleibt als von Ägypten nach dem Erlöschen der Pharaonen und ihrer stillosen Erben, eine entgeisterte Biomasse, in der es spukt, ohne daß aus dem gelegentlichen Aufflackern von fahler Energie ein neues Leben entsteht. Dann würden auch hier irgendwelche bösen toten Seelen Reisebusse in die Luft sprengen und letzte Touristen liquidieren, im Namen einer Wut, die sich selbst nicht versteht. Noch fünf Jahre Berlusconi, und dieses Land bringt nichts mehr jenseits von Ejakulationen und Verdauungsgeräuschen zustande.
Zeilen und Tage, Notizen 2008-2011, Berlin: Suhrkamp 2012, S. 294 (datiert 20.9.2009)