21.03.2014

China 196-/2014

In diesem Foto habe ich la sinité unserer Zeit recht gut eingefangen.

1) Das Lastenrad am Kreisverkehrsdenkmal
ist der Signifikant für das kommunistische China bis zu den späten 1970ern, die Gemächlichkeit die der Mythologie zufolge in dem Lande alles Leben durchzog wie Teeblätter, die in heißem Wasser schweben; diese Gemächlichkeit existiert immer noch, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, kann aber von einem aufrichtigen Menschen nicht mehr zur Gänze dem Kommunismus zugeschrieben werden: eine Untersuchung müsste eher auf eine moderne landes-, klima- und freilich schon auch historische Abhandlung abzielen. Wie so oft im derzeitigen Alltagsleben wird das Lastenrad einem alten Kopf (老头) gehören, lebendes Überbleibsel der Volksrepublik.
Die Langsamkeit der Chinesen, die die Romanfigur Johann Holtrop im Roman von Rainald Goetz beklagt, sagt wohl mehr über Holtrops manageriellen Hyperaktivismus aus, gegen den kein Angesteller keiner Blutsherkunft gefeit ist.
(Was übrigens in dem angeblich [laut Die Zeit] so schlechten Roman von weiß nicht wem über die Jetset-Chinesen gesagt wird, weiß ich nicht, ich weiß nur dass es einen Anti-Sinismus gibt und soziologisch und Google-trending-word-haft geben wird im 21. Jahrhundert. Die Bücher werden nicht immer so dödelhaft-naiv wirken wie Darum nerven Chinesen an unserem aktuellen Punkt in der Raumzeit.)

2) Die stylishe Ampel
ist ein Signifikant wie aus dem Lehrbuch, literally. Signifikant für die Verkehrsregel, und die Verkehrsregel ist Signifikant der Entwicklung, die in China Einzug gehalten hat. Die Ampel ein semantisches Synonym für die biederen Parolen der kommunistischen Partei:

说文明话
干文明事
做文明人

Kulturierte Sprache reden
Kulturierte Sachen machen
Kulturierten Menschen geben

Tendenziell halten sich eher ältere Menschen nicht an Ampeln; diese sagen ihnen scheinbar gar nichts. Finde ich sympathisch. Es halten sich aber auch prinzipiell so gut wie alle Kleinspediteure auf elektrifizierten oder kraftstopfbetriebenen Zwei-, Drei- oder Vierrrädern nicht an Ampeln. Sie haben keine Nummerntafel, die von den ubiquitären Verkehrskameras festgehalten werden könnte. Diese Kameras fehlen auf dem Foto, das Vorhandensein der Ampel macht die Abwesenheit gut.

3) Die zwei SUVs,
einer von Hyundai, der zweite undefinierbar, sind Signifikant des typischen Hedonisten des 21. Jahrhunderts: eine amerikanisch-chinesische Mischung.

4) Der Drache
auf dem Sockel, der unabgekantet, trotzig auf die Straße gesetzt wurde und die Inschrift 天禄, dem Reiche zugehörig, trägt, ist wohl Signifikat für die Reichszugehörigkeit: des Lastenrads, der Ampel, der Autos, des Sockels und des Asphalts.

04.03.2014

Notizen mit dem Fotoapparat

In diesem Text ausführliche Beschreibung der Arbeitsweise eines zeitgenössischen Autorentypus. Ausgedient hat das Notizbuch als Reservoir, in das Schilderungen und Einfälle aufgenommen werden. Diese Autorin, Casey N. Cep, arbeitet mit der Kamera ihres Smartphones, der Fotostream geht mit ihrem Erlebens- und Erfahrungsstrom zusammen und dient als die neue Quelle der Schreibarbeit.

Das Trotteltriptychon

Dem Blinden das Selfie, dem Einäugigen das Trotteltriptychon.

Wer schon keine Selfies mehr sehen bzw. machen kann, dem empfehle ich auf das kompliziertere Verfahren des Smartphonetriptychons umzusteigen. Hierbei beobachtest du eine Szene der Wirklichkeit (oder wie das heißen mag, wenn man mit erhobener Hand, das Handy darin, aufnahmebereit, die Augen auf den Bildschirm, durch die Welt geht), zum Beispiel das Betreten des Restaurants, das du für heute Abend ausgesucht hat, oder der Sehenswürdigkeit, oder das Flugtickets in der anderen Hand, und drückst drei Mal ab – in möglichst kurzer Reihenfolge; so fotografierst du deine Zeitgenossen, wie sie es sich in dem Raume gemütlich machen und auf ihre Bildschirme gaffen, oder wie die Hand mit dem Flugticket sich um einen halben Grat nach rechts neigt und so eine faszinierende minimale Änderung der Lichtreflexion auf dem Ticketpapier erzeugt, die einer quantenmechanischen Untersuchung würdig ist.
Dann darf möglichst wenig Zeit vergehen, bevor du das Triptychon in die Wolke zu deinen anderen Zeitgenossen hochschickst.
Hast du üppig Geld, kannst du auch Damian Loeb beauftragen, von deinen drei Bildern realistische Gemälde anzufertigen, die du dann rahmen und die Rahmen mit Scharnieren verbinden kannst, à la klassisch Triptychon.
Dann klappst du die drei Bilder jeweils in einem Winkel von 120° zueinander. Die Bilder nach innen, den Hintergrund nach außen. Den aufgestellten geschlossenen Dreieckskörper mit dem uneinsehbaren Inhalt betitel »Trotteltriptychon« und verkauf einem Kunstinvestor.