Weil meine ersten zwei Küchen so schön geworden sind aber ich Gefahr laufe meinen Einbauschrank zu versemmeln: den Bildband Einbaumöbel als Inspiration und als Warnung entliehen, mit seinen Fotos und geistreichen Bildtexten aus den Altbaurenovierungen und Villenneubauten großteils reicher und neureicher Deutscher. Er löst beim ersten Durchblättern diese Gedankenfetzen aus: „Clever, puristisch, kühl, primitiv, eigentlich gigantischer Materialverschleiß, aufgeblasen, riesige Scheidungsmasse, Kreativität in der Flächenverteilung, aber ärmliche Flächengestaltung, am ehesten noch Ansätze zu Tiefengestaltung, in den Bücherregalen die Krimibestsellerautoren überwiegend, Porsche- und Vogue-Ästhetik, seelenlos, zutiefst germanisch simplizistisch, kein Ornament ist auch ein Verbrechen.“
20.02.2022
18.02.2022
Mir gefällt alles
I Dig Everything von David Bowie
Da Neil Young Spotify verlassen hat musste ich mich nach dem besten Cover von Barstool Blues umsehen, und das ist es: Barstool Blues von Hooton Tennis Club
Der antisemitische Duden
Ein Kollege schmeißt mir jeden Tag die zwei Gratis-Boulevardzeitungen auf den Tisch, die er von seiner Fahrt in der Wiener Ubahn mitnimmt. Meistens dazu die Bemerkung: „Damitsd dich lückenlos informieren kannst.“ Die im wörtlichen Sinn etwas schmierigen Blattln liegen dann auf meinem Tisch und fragen mich, was denn aus meiner Liebe zu Tageszeitungen geworden ist. Gute Frage, denke ich ... hat sicher was zu tun mit Reifwerden, Fachkompetenz, guten Büchern und guten Podcasts. Sogar zum Ausbrechen aus seiner jeweiligen Filterblase, für Serendipität, Andersdenkendeverstehenwollen und fürs buchstäbliche Zeitunglesen braucht man ja keine Tageszeitungen mehr, und für die österreichischen gilt, was Armin Thurnher kokett an der Fachhochschul lehrte anno 2005, die „brauchen Sie eigentlich gar nicht lesen“.
Das war ein schöner Einstieg. Das Thema dieses Blogeintrags lautet „Der Jude im Wörterbuch“. Ich stieß am 8. Februar 2022 auf diese Meldung in einem der besagten Gossenjournale:
„Unwort? Duden warnt vor „Jude“ –
Laut Duden kann das Wort „Jude“ als diskriminierend empfunden werden, man solle daher z. B. „jüdischer Mensch“ sagen. Der Zentralrat der Juden lehnte in einer Reaktion solche Alternativen jedoch ab.“
Ich schreib das peinliche Thema hier nach all diesen Tagen nur, weil dieser Blog nach all diesen Jahren nur mehr ein Abstellgleis für meine unproduktiven Gedanken ist, für Geifer, Rage, Kritik, und weil das das bisher einzige Thema in diesem Jahr war, das mich sinnlos aufbrachte. Mit sinnlos meine ich: es ist Zeitverschwendung, über eine Sache emotional zu werden, über die wahrscheinlich sogar in der Duden-Redaktion nur ein oder zwei Leute so idiotisch denken und die allen anderen egal, weil „gegessen“ ist.
Dass der „Duden“ hier als Wörterbuch kapital versagt – weil er nicht Bedeutungen definiert, sondern Sprachgebrauch vorschreibt, weil er Knigge für den weltfremden deutschen Schambürger ist, nicht für den Schreibenden, der ein Wörterbuch braucht –, haben andere anderswo dargelegt – und damit meine ich keine aktuellen Kommentare oder Feuilletons, sondern einen Kommentar, der vor Jahren im Forward stand. Ich verlinke beizeiten auf ihn.
Beispiele für gängigen, natürlichen, vernünftigen Sprachgebrauch. Der unvergessliche Mickey Sabbath in Philip Roths Roman Sabbath’s Theater, der Soldat Mellish im Film Saving Private Ryan, der Fußballtrainer Andreas Herzog im Fußballpodcast Phrasenmäher, alles in Curb Your Enthusiasm.
Diesen Juden und Nichtjuden will der „Duden“ nun allen Ernstes seine Judenscham verklickern. Dass er „Duden“ aber noch peinlicher ist, als die Zeitungsgeschichte nahelegt, zeigt sich, wenn man nun „Jude“ auf duden.de wirklich eingibt und folgendes Ergebnis erhält:
– – abgerufen heute, am 17.2., um 22:16, ein Screenshot ist bei mir hinterlegt – –
Suche nach Jude
Ihre Suche im Wörterbuch nach Jude ergab folgende Treffer:
Nichtjude
Substantiv, maskulin – männliche Person, die kein Jude ist; …
ZUM VOLLSTÄNDIGEN ARTIKEL →
Sabre
Substantiv, maskulin – in Israel oder Palästina geborener und …
ZUM VOLLSTÄNDIGEN ARTIKEL →
ewig
Adjektiv – 1a. zeitlich unendlich; unvergänglich, zeitlos; 1b. die Zeiten, den Wechsel überdauernd; …
2. sich immer wiederholend; endlos, übermäßig …
ZUM VOLLSTÄNDIGEN ARTIKEL →
Man sieht dann: der „Duden“ weiß, was ein Nichtjude (Goj, Nkri, Heide) ist, ein Sabre, aber das Wort „Jude“ definiert er ja überhaupt nicht, lieber schmeißt er ein Adjektiv auf die Ergebnisseite dazu, „ewig“, das überhaupt nichts mit der Suche zu tun hat und so wohl andeuten soll „weg mit euch, hier gibts nicht mehr zu sehen!“
Ich behaupte nun: der Duden ist antisemitisch, – – nicht weil er „ewig“ bei den Ergebnissen bringt und hier das alte Drecksklischee „ewiger Jude“ aufleben lässt, ich glaube hier ist einfach ein falscher Algorithmus am Werk, der naiv Anfragehäufigkeiten bündelt, das ist halt die Usermasse die anscheinend oft nach diesem Thema fragt – – sondern der Duden ist antisemitisch, weil sein Sprachknigge ja auch Juden gilt, und der Duden auch Juden irgendwie mitteilt, he, wir sind in einer fortschrittlicheren Zeit, bitte mach mal nicht so krass auf Jude.
Ich werde vielleicht diesen Blogeintrag noch etwas umschreiben damit die Teile besser zusammenhängen, aber vielleicht auch nicht, es ist wirklich zu peinlich, solche Gedanken auch nur anzudenken, geschweige denn auszuschreiben.
Eigentlich kann man dem Ganzen etwas Erfreuliches abgewinnen, man kann sich froh schätzen, kein „Dude“ sein ... ein politischer Analphasler, der das vormals wichtigste WÖRTERBUCH der DEUTSCHEN Sprache mitschreibt ... aber mit dem Zeitenwandel und ringend mit dem Bedeutungsverlust gegenüber Open Source, und ringend mit ... Wörtern ...
Mir fällt zu der leidigen Sache aber noch etwas ein, und jetzt wirds sogar echt geil. In meiner privaten Notizsammlung funkelt es bereits seit Jahren ... so geil ist das Wort. Ich schlage es hiermit dem Duden vor:
Es gibt ja, man höre und staune, lasche Juden, die Gojim heiraten, Speck essen, samstags was arbeiten etc. etc. ... und einer der berühmtesten ist natürlich Leopold Bloom aus Ulysses mit seiner Schweineniere und mit seinen Gewissensbissen während des gesamten 16.6.1904. Wie so oft ist es wunderbar, wenn man so eine Berühmtheit mit einem „Fragment“ paart, einem eigentlich der Weltgeschichte unbekannten Element. Den findet man z.B. in der super Flughafenkolumne von Haaretz, wo vor ein zwei Jahren ein italienisch-jüdischer Koch gestand, bei dem und dem italienischen Rezept tut er sich schwer, den Originalgeschmack koscher (nämlich ohne Schmalz!) herzustellen. Ich stelle aber vor: Siegfried Daniel, Sohn eines Greißlers in dem niederösterreichischen Dorfe Kirchberg am Wechsel, irgendwann auch am Anfang des 20. Jahrhunderts. Laut einem Zeitzeuginnenbericht in einem hochinteressanten (und todtraurig machenden) Buch über Juden dieser Gegend vor dem Holocaust soll dieser Siegfried gerne Grammeln gegessen haben. Natürlich nehmen wir diese „oral history“ mit einer Prise Salz, vielleicht stimmt es nicht, schlimmstenfalls muss man annehmen dass eine alte dumme Antisemitin falsch wahrgenommen und falsch erinnert hat. Aber künstlerisch spielend, die alte Zeit vor unserem geistigen Auge aufleben lassend (man wär gern Olga Tokarczuk und schriebe einen ganzen Roman...), stellen wir uns Siegfried vor, den Juden, wie er tatsächlich wo eine Handvoll Grammeln sich reinwirft, und nach der (sporadisch antisemitsch missbrauchten...) Weise, ein Kompositum mit „Jude“ zu bilden, erscheint das erheiternde Epithet „Grammeljud“! Es ist wunderschön und sehr vielfältig, weil liebevoll verwendbar, schimpfend, aber hauptsächlich: treffend bezeichnend. Das, was man eigentlich von einem Wörterbuch erwartet.
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