17.09.2011

Horrormeldung des Tages

Man möchte die Wiener Mariahilferstraße "beruhigen" und die Autos von ihr verbannen. Das wird ein toller Kindergarten.

Mein Badezimmer in Nanjing

Der geschichtsphilosophischen Marketingstory zufolge steht dem Badezimmer eine Umwandlung bevor: die Erweiterung der "Nasszelle" in einen "Wohlfühlraum", nachdem ein ähnliches "Upgrading" bei den Küchen bereits durchgeführt worden ist.
Stufenlos begehbare Duschen eliminieren das beklemmende Gefühl, man begebe sich in eine Kammer-im-Raum (und sind für alte Menschen bequem), großflächige Fliesen ersetzen die vielen spießigen kleinen und verleihen römischen Villencharakter. Die Musikanlage wird diesmal schon beim Planen bedacht (Karajan hätte das befürwortet), und Fenster muss es geben, damit gutes Licht hereinkomme und man gerne hier verweilt.

Der Handtuchvermarkter, der mir neulich davon erzählte und fleißig mit ästhetisch ansprechender Werbung an dem Trend mitarbeitet, öffnete mir die Augen. Ich wusste plötzlich: In meinem chinesischen Leben (halbes Jahr lang) war ich heuer voll im Trend! Das Badezimmer meiner Nanjinger Wohnung war ein solcher Wohlfühlraum.
In der Tür ist, ganz chinesischer Stil, eine Glasscheibe, die zwar durch ein Muster nur einen verschwommenen Blick von der Diele ins Badezimmer zulässt, mir aber zunächst unangenehm war. Man will nicht gesehen werden, wenn man auf dem Klo hockt. Aber man findet sich damit ab und wird gelassen.
Dieses Wasserklosett hängt gleich nach dem Eingang und erledigt seine Funktionen ordentlich (keine oder lediglich eine statistisch notwendige Anzahl jener Komplikationen, vor denen westliche Reiseliteratur warnt). Beim Sitzen bleibt noch ein kleiner Freiraum zwischen meinen Knien und der gegenüberliegenden Wand.
Über dem WC sind Stangen zum Aufhängen von Handtüchern angebracht, weiter vorne ein Waschbecken und ein Spiegel. Davon gegenüber der fixier- und abnehmbare Duschkopf und darüber, ein seltsamer Pfusch, halb sichtbar, halb in einer Zwischendecke verstaut, der Boiler. Im uneinsehbaren Raum in der Zwischendecke nisten kleine Vögel, die natürlich schon wach sind in der früh. Ich vermisse sie, würde sie jedoch gegen die angesprochenen eingebauten Musikboxen austauschen, wenn ich mir ein Badezimmer neu einrichte.
Die Höhe des Waschbeckens passt für kleine Menschen; mich hat sie abwechselnd belustigt, zum Seufzen gebracht, oder dazu verleitet, hineinzupissen. Aber das war ein mühelos zurückhaltbarer Anreiz. Erst während eines Aufenthalts in einem Gästehaus in Hongkong, bei ähnlichen Verhältnissen, tat ich es - und danach nicht mehr wieder.
Auch das Fenster liegt niedrig; mein Spatzi kann rausschauen. Daher schließe ich das Fenster beim Duschen. Beim Zähneputzen mache ich es wieder auf, um den Tag mustern und die Temperatur bestimmen zu können.
Im Winter sind mir die vier seltsamen Riesenglühbirnen in der Mitte der Decke ein Labsal gewesen. Sie wärmen den Rücken. Ähnliche Lampen sollten in jedem Badezimmer zum Einsatz kommen (infrarot etc., am besten mehrere "Stimmungen" wählbar).
Alles ist gefliest. In der Fensternische stehen Tuben mit Waschzeugs, macht nichts, das Fenster geht nach außen auf.
Ich kann mich gut bewegen, z.B. pseudogymnastische Bewegungen machen oder einen Mitduscher eincremen.
Oben aufgehängt, spritzt der Duschkopf den ganzen Raum voll. Das Klopapier muss man schützen. Ansonsten kein Problem. Alles rinnt in den Abfluss neben dem Waschbecken.
Der Zeitpunkt des Trocknens ist individuell bestimmbar. Man wird nicht mehr wie beim Übersteigen einer Duschkabinenschwelle daran erinnert, unbedingt jetzt sich abtrocknen zu müssen. Ich habe das Wasser immer von selber abtropfen lassen und erst nach dem Zähneputzen zum Handtuch gegriffen. Das erinnert mich an eine meiner Schwestern und eine ehemalige Schulkollegin - sie sagen sie putzen in der Dusche die Zähne. Ich mag das nicht, da ich den Zahnpasta-Mundsud einzig und allein dem Waschbecken übergeben möchte und nicht dem Duschabfluss. Von den unerfüllbaren Anforderungen des multi taskings abgesehen.
Weil der ganze Raum zirka drei Quadratmeter groß ist, glaube ich, dass das neue Ideal unabhängig von der Raumgröße umzusetzen ist. Wer auch immer Produkte für das Badezimmer herstellt: In der Werbung kann man ruhig, sofern die Grundlagen stimmen, winzige Badezimmer darstellen. Damit hätte man sogar zwei Trends in Einen überführt.